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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
123.2004
Seite: 144
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ausländische Sender abgehört hat und dies auch nur aus einem Anlaß, der in weiten Volkskreisen
äußerste Spannung, Überraschung und Neugier hervorrufen mußte und hervorrief.29

Ein Ereignis das noch weit größeres Abhörinteresse hervorrief, waren die Kämpfe um Stalingrad
und der Untergang der 6. Armee. Hier traf das allgemeine Interesse am Kriegsgeschehen
zusammen mit dem konkreten Wunsch, verlässliche Berichte vom Frontverlauf zu erhalten
, hatten doch viele Angehörige an der „Ostfront". In einem internen Bericht des SD an den
Leiter der Rundfunkabteilung des Propagandaministers hieß es dazu:

Aus vielen Beobachtungen sei zu schließen, daß Angehörige von vermißten Stalingradkämpfern
, soweit es die Güte ihrer Geräte zulasse, den Versuch machten, sowjetische Sender
abzuhören, um über das Schicksal der Soldaten Näheres zu erfahren. Von solchen
Volksgenossen wird in einer schwer faßbaren Form z. T. offen geäußert, daß man eigentlich
so lange Moskau hören sollte, bis die deutsche Regierung über den Verbleib der Vermißten
Auskunft gebe. Bei solchen Versuchen, Namen von Vermißten oder gar die Stimme
von Angehörigen zu hören, würden naturgemäß andere Nachrichten des Moskauer Senders
mit empfangen. Gesprächsweise Erwähnungen könnten nur diese Quelle haben. Die
sowjetische Methode, Namen deutscher Kriegsgefangener bekanntzugeben, müsse als
sehr geschickt geltend

Tatsächlich wurde auf Initiative des nach Moskau emigrierten späteren DDR-Staatsratsvorsitzenden
Walter Ulbricht auch im sowjetischen Rundfunk, dem britischen Beispiel folgend,
Namen und Adressen gefangener deutscher Soldaten bekannt gegeben und Grüße an die Angehörigen
in der Heimat gesendet.31 Auf diese „Kriegsgefangenen"- Sendungen reagierte das
Regime mit verstärkter Überwachung der im Rundfunk gegrüßten Angehörigen, um so Ab-
hörer und vor allem so genannte „Grußbesteller", die auf dem Postweg oder sogar persönlich
die abgehörten Grüße überbringen wollten, festnehmen zu können. Infolge dieser Überwachungsmaßnahmen
, aber auch aufgrund von Denunziationen der Benachrichtigten, gelang es
der Gestapo beispielsweise im Berliner Raum einigen der Abhörer und „Grußbesteller" habhaft
zu werden.32 Für das Freiburger Sondergericht sind solche Verfahren nicht nachzuweisen,
was sich dadurch erklären dürfte, dass sowjetische Sender im äußersten Südwesten des Reiches
schwer zu empfangen waren. Nichtsdestotrotz wurde auch in Südbaden versucht, sich Berichte
zu Stalingrad zu verschaffen, wobei in der Region in erster Linie auf Nachrichtensendungen
von Radio Beromünster zurückgegriffen wurde. So hatte ein angeklagter Elektromonteur
vor dem Sondergericht Freiburg einzugestehen, seit Anfang 1943 aus Spannung über
die Nachrichten vom Kampf um Stalingrad etwa 10-15 mal den schweizerischen Sender
Beromünster eingestellt und abgehört zu haben.33 In einem anderen Fall wurde als Motiv genannt
, die Ungewissheit um das Schicksal eines bei Stalingrad kämpfenden Sohnes habe den
Anklagten zum Abhören der Nachrichten von Beromünster veranlasst.34

Die hohe Einschaltquote ausländischer Sender in Zusammenhang mit Stalingrad wird auch
durch die amerikanische Befragung in Hessen vom Frühsommer 1945 bestätigt, wonach 23
Prozent der befragten „Feindhörer" angaben, dass die Geschehnisse um Stalingrad den Auslöser
zum Abhören ausländischer Sender gebildet hätten. Weitere 19 Prozent der Befragten
wollten nach der Landung der Alliierten in der Normandie im Juni 1944 erstmals ausländische

29 Urteilsniederschrift des Sondergerichts Freiburg vom 21.10.1941; StAF, A47/1-351.

30 SD-Bericht „Stimmen zum Rundfunk" vom 17.4.1943; zitiert nach Joseph Wulf: Kultur im Dritten Reich.
Presse und Funk. Frankfurt a. M./Berlin 1989, S. 396.

31 Schreiben Walter Ulbrichts an Dimitroff, Togliatti, Pieck u. a. vom 25.6.1941; vgl. Stiftung Archiv der Parteien
und Massenorganisationen der DDR, NY 4182/228.

32 Vgl. hierzu Hensle (wie Anm. 1), S. 243 f.

33 Urteil des Sondergerichts Freiburg vom 23.9.1943; StAF, A47/1-1673.

34 Urteil des Sondergerichts Freiburg vom 23.11.1943; StAF, A47/1-1708.

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