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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
123.2004
Seite: 159
(PDF, 49 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2004/0159
Tatsächlich nahm ab der zweiten Kriegshälfte die Zahl der wegen „Rundfunkverbrechen"
verhängten Todesurteile zu. Bereits am 3. Juli 1942 protokollierte der akribische Beobachter
Viktor Klemperer über einen „Exemplum-Artikel aus Berlin" heimlich in sein Tagebuch:

In einem süddeutschen Rüstungsbetriebe waren Hetznachrichten verbreitet. Ein Hauptschuldiger
hatte ausländische Sender gehört, ein halbes Dutzend Arbeiter hatte die
,Lügen' weitergegeben. Der Hauptschuldige ist wegen Hochverrat zum Tode verurteilt
und bereits hingerichtet worden, die anderen haben Zuchthaus, zehn bis eineinhalb Jahre
bekommen.

Nachrichten über Rundfunkverbrechen waren in einer früheren Kriegsphase häufig. Von
Zeit zu Zeit wurde eine Auslese von Urteilen mitgeteilt, immer hohe Zuchthausstrafen.
Dann war es viele Monate wieder still. Das Novum des heutigen Falles besteht a) im
Todesfall, b) dass es sich ausdrücklich um einen Rüstungsbetrieb handelt. Man fühlt sich
also der Arbeiter nicht mehr sicher, man geht gegen einen bestimmten Stand, und gegen
den entscheidenden Stand, vor, man greift zum allerletzten Mittel, der Todesstrafe.*4

Im geheimen „Informationsdienst des Reichsministers der Justiz" werden beispielsweise in
einer Aufstellung über die im Jahre 1943 insgesamt verhängten 5336 Todesurteile auch 11 Todesstrafen
wegen „Rundfunkverbrechen" aufgeführt.85 Hierbei ist allerdings einschränkend
auf die Urteilspraxis des Volksgerichtshofes hinzuweisen, wonach viele Fälle zusammen mit
schwereren und damit juristisch vorrangigen Delikten wie „Vorbereitung zum Hochverrat"
bzw. „Hochverrat", „Feindbegünstigung", „Wehrkraftzersetzung" usw. abgeurteilt wurden und
damit subsumiert unter diesen Tatbeständen Eingang in die Statistiken fanden. Todesstrafen für
„Rundfunkverbrechen" sind folglich nur an einigen Sondergerichten nachzuweisen, hier
scheuten die Richter im Allgemeinen davor zurück, auf Verhängung der Höchststrafe zu erkennen
. Auch wenn sämtliche vorgefundenen Statistiken widersprüchlich und lückenhaft sind,
so ist jedoch einer hartlebigen Legende entgegenzutreten: „Auch das Abhören feindlicher
Rundfunksender wurde im Krieg mit dem Tode bestraft", wie es selbst in wissenschaftlichen
Publikationen heißt.86 Dass das schlichte „Feindsenderhören" den Kopf kostete, ist in den Bereich
der Legendenbildung zu verweisen, das gilt zumindest für die Sondergerichte.

... beabsichtige, ihn anschließend in Schutzhaft zu nehmen.
Strafvollstreckung, „Frontbewährung" und KZ-Einweisung

Sondergerichtsurteile waren mit Urteilsverkündung rechtskräftig und damit sofort vollstreckbar
. Die Verurteilten wurden unmittelbar von der Untersuchungshaft in die Strafhaft überführt,
die vorwiegend in den Haftanstalten Freiburg, Bruchsal, Ensisheim/Elsass und Hagenau/
Elsass vollstreckt wurden. Vor allem ab der zweiten Kriegshälfte waren die Haftbedingungen
gekennzeichnet von ständiger Überbelegung der Haftanstalten, chronischer Unterernährung
der Häftlinge, unzureichender Kleidung und völliger Überarbeitung, da die Häftlinge unter Be-

84 Victor Klemperer: Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933-1945. 2 Bde. Berlin 1996, hier
Bd. 2, S. 153. Offenbar handelte es sich um das Urteil des OLG Kassel gegen Arbeiter eines Frankfurter Rüstungsbetriebs
, über das unter der Überschrift „Todesurteil für Verbreitung feindlicher Nachrichten" auch im
Rundfunkarchiv 1942, S. 315 berichtet wurde.

85 Die Liste der 5336 Todesurteile wird angeführt von 1745 Urteilen wegen „Hoch- und Landesverrat", als weitere
politische Delikte werden neben 250 Urteilen wegen „Verbrechen gegen die Besatzungsmacht" 138 Urteile wegen
„Sabotage und Aufsässigkeit ausländischer Arbeiter" genannt, gefolgt von 108 Urteilen wegen „Wehrkraftzersetzung
". Den Hauptanteil aller Todesurteile machen 938 Urteile gegen „Gefährliche Gewohnheitsverbrecher
(Diebe, Betrüger, Ausnutzung der Verdunklung und der Kriegsverhältnisse)" sowie pauschal 894 „Todesurteile
aus den eingegliederten Ostgebieten" aus; vgl. BArch, R 22/4003, Bl. 74.

86 So Ernst Ritter in dem Überblicksartikel „Justiz und innere Verwaltung" in Enzyklopädie des Nationalsozialismus
. Hg. von Wolfgang Benz/Hermann Graml/Hermann Wem. Stuttgart 1997, S. 96.

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