Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 465,da
Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
123.2004
Seite: 208
(PDF, 49 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2004/0208
nationalsozialistische Umtriebe am Bertoldsbrunnen diffamiert.80 Eine Zuschrift aus dem
Münstertal enthielt die Mitteilung, dass angesichts der Zustände auf die übliche Einkaufsfahrt
nach Freiburg verzichtet würde, um nicht plötzlich randalierenden Jugendlichen im Einkaufszentrum
ausgeliefert zu sein.81 In der Hoffnung, so der Bewegung zu entgehen, haben einige
einen großen Bogen um die unruhige Stadt geschlagen. Schließlich gab es noch die verknöcherten
Kämpfer gegen den Kommunismus: Mit Glacehandschuh kann man die Verbrecher
gegen die Stadt Freiburg nicht anfassen, sondern rücksichtslos radikal vorgehen, in der
Studentenschaft befindet sich mindestens 70 % Kommunisten ... Ich belauschte die letzten Tage
Gespräche von Studenten u. Studentinnen, die von der Ostzone nach hier kamen. Meine Äußerungen
beruhen auf Wahrheit*2 Wie gleichmütig der Wahn des alten Mannes aufgenommen
wurde, zeigt die Antwort von OB Keidel: Sehr geehrter Herr K.l Für Ihre freundlichen Zeilen
vom 9.ds.Mts., die für mich sehr wertvoll und genugtuend waren, danke ich Ihnen sehr herzlich
.83 Dieser gegenseitige Respekt, der informelle Pakt einer Generation, war weitaus schwerer
anzugreifen als eine Gemeinderatsentscheidung.

Die Lage wurde von einigen dennoch gegenteilig beurteilt. Sie sprachen den Schülern und
Studenten ihren Dank aus: Einige tausend Bürger halten als Protestierende und Zuschauer die
Stadt in Atem. Das ist ungewohnt, weil wir in 20 Jahren sehr wenig mit den Regeln der Demokratie
vertraut gemacht wurden.84 In einer Zeitungsanzeige wurde in diesem Sinne die gezielte
Verhaftung besonders aktiver demokratischer Schüler und Studenten scharf verurteilt.85 Eine
Mutter von 5 Kindern fand in einem Brief an OB Keidel ebenfalls anerkennende Worte für die
Demonstranten. Die Fahrpreiserhöhungen der St.[-ädtischen] Verkehrsbetriebe sind nicht für
große Familien zumutbar ... Was mich an der ganzen Sache besonders erbost ist die Haltung
fast aller Bürger, im Bus und auf der Straße wird geschimpft, viel zu teuer, unverschämt und
wenn die Erhöhung durchgesetzt wird dann geht das schimpfen erst recht los. Heute aber fallen
sie alle den Schüler und Studenten in den Rücken, die auch für uns Bürger mit protestieren
.86 Für sie hießen höhere Fahrpreise, auf Sonntagsausflüge mit der ganzen Familie verzichten
zu müssen. Den Demonstranten fühlte sie sich entsprechend verbunden.

Das Ende der Bewegung ohne Ende des Protests

Revolten kennen im allgemeinen nur das Scheitern, sonst wären sie Revolutionen.81 Auch die
Freiburger Fahrpreiskämpfe sind mit ihren unmittelbaren Zielen gescheitert. Der Blick auf die
Ereignisse im Februar 1968 lässt Irritationen, Verunsicherungen, rebellisches Lebensgefühl,
Skandale, Spaß und Ärger erkennen. In dieser Situation wurde ein Damm gebrochen. Einmischung
und Revolte wurden erprobt und gehören seitdem in Freiburg zum Alltag politischer
Auseinandersetzungen. Diese Geschichte ist deshalb nicht bloß der verlorene Kampf um die
Erhöhung der Straßenbahntarife, denn die gescheiterte Revolte indessen greift in die Geschichte
ein, sie setzt Zeichen, die teils verschwinden, um später wieder aufzutauchen, sie verändern
doch die Welt.88 Der Moment einer solchen gesellschaftlichen Veränderung lässt sich
anhand der Freiburger Fahrpreiskämpfe von 1968 nachvollziehen.

Im März 1968 eröffnete der Republikanische Club. Damit verfügte Freiburg über sein erstes

8(1 Ebd.

81 StadtAF, C5/5372; Müller (wie Anm. 1), Dok.-Nr. 9011.

82 StadtAF, C5/5372; Müller (wie Anm. 1), Dok.-Nr. 9020.

83 Ebd.

84 StadtAF, C5/5373; Müller (wie Anm. 1), Dok.-Nr. 11432

85 StadtAF, C5/5373; Müller (wie Anm. 1), Dok.-Nr. 11433
^ StadtAF, C5/5372; Müller (wie Anm. 1), Dok.-Nr. 9086.

87 Agnoli (wie Anm. 4), S. 10.

88 Ebd.

208


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2004/0208