Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 465,da
Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
123.2004
Seite: 218
(PDF, 49 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2004/0218
ganda, im März 1933 die Aufgabe des Hörfunks im „Dritten Reich" so umriss, war ein handelsübliches
Radio für den normalen Arbeiterhaushalt noch schier unerschwinglich. Nahziel für die Nazi-Propagandisten
musste also sein, einen billigen Empfangsapparat entwickeln zu lassen, damit die Stimme des
„Führers" noch im letzten Winkel des Reiches erschallen konnte. Mit dem „Volksempfänger" sollte das
Unterfangen dann tatsächlich gelingen. Weil sich mit dem „grenzenlosen" Medium Radio aber auch ausländische
Sender empfangen ließen, wurde am 1. September 1939 die berüchtigte „Verordnung über
außerordentliche Rundfunkmaßnahmen" erlassen, die das Abhören derselben schlichtweg verbot. Zuwiderhandlungen
ahndete die Nazi-Justiz fortan unter dem Begriff „Rundfunkverbrechen".

Mit Michael R Hensles Untersuchung über derartige Strafvergehen ist eine Studie erschienen, die das
Thema erstmals erschöpfend aufarbeitet. Der Autor, den Lesern des Schau-ins-Land bereits durch eine
Publikation über die Tätigkeit des Sondergerichts Freiburg während der NS-Zeit vertraut, hat seine damals
niedergelegten Erkenntnisse in das nun vorliegende Buch eingearbeitet. Das macht Sinn, da sich
gerade Sondergerichte mit den in den Augen der Nazis defätistischen Verhaltensweisen wie „Rassenschande
", „wehrkraftzersetzenden" oder „abfälligen" - d. h. regimekritischen - „Äußerungen" zu beschäftigen
hatten, und „Rundfunkverbrechen" sozusagen in dieselbe Sparte fielen. Die Studie ist als Vergleich
angelegt. Als Quellenbasis wurden die einschlägigen Akten der Sondergerichte Freiburg und
Berlin herangezogen, deren Bestände zu „Rundfunkverbrechen" im Vergleich zu denen anderer Sondergerichtshöfe
in großen Teilen erhalten blieben.

Hensles Arbeit gliedert sich in zwei Teile. Im ersten beschäftigt er sich mit den allgemeinen, in erster
Linie juristischen Sachverhalten zum Abhörverbot, wobei er zunächst die bis in die Zeit der Weimarer
Republik zurückreichenden Wurzeln um eine derartige Zensur - Stichwort: Sender Moskau - offen legt.
Anschließend beschäftigt er sich mit der Entstehungsgeschichte des Verbotes und arbeitet in diesem Zusammenhang
die unterschiedlichen Interessen der beteiligten Akteure heraus, wobei sich die Protagonisten
beim Gerangel um Einfluss-Sphären oft gegenseitig paralysierten. Ein Mittel, Herrschaftswissen zu
akkumulieren bzw. zu verringern, waren nach Erlass der Verbots-Verordnung genehmigungspflichtige
Ausnahmeregelungen für bestimmte Personengruppen. Bezeichnenderweise gelang es Goebbels trotz
aller Bestrebungen nicht, hier eine Oberhoheit im Genehmigungsverfahren zu erlangen. Einmal mehr erwies
sich das Herrschaftsgefüge des „Dritten Reiches" als polykratisches System, wobei Hitler, der sakrosankte
„Führer", unklare Kompetenzverteilungen geschickt als Herrschaftsinstrument einzusetzen
wusste. Zum Schluss des ersten Teils untersucht Hensle, inwieweit die mit der Verfolgung von „Rundfunkverbrechen
" beauftragte Gestapo in Kollision mit dem Klageerhebungsrecht der zuständigen Staatsanwaltschaften
geriet, da sie es war, die darüber zu entscheiden hatte, ob ein Delinquent an das Sondergericht
überstellt wurde oder mit einer polizeilich verhängten geringfügigeren Strafe davonkam.

Im zweiten Teil der Studie wird die gerichtliche Urteilspraxis in den beiden genannten Sondergerichtsbezirken
untersucht. Eine besondere Beachtung erfährt dabei der Aspekt der Denunziation, da die
Gestapo auf die stete „Mithilfe" der Bevölkerung beim Aufspüren heimlicher Auslandshörer angewiesen
war. Des Weiteren werden Repressionsmaßnahmen, Anklageverhalten, Gerichtsverfahren und anwaltliche
Vertretung der Angeklagten erörtert. Ein wichtiges Ergebnis von Hensles Forschung besteht entgegen
immer noch kursierenden Mythen darin, dass ein „Rundfunkverbrechen" keineswegs automatisch die
Todesstrafe nach sich zog. Erst in Kombination mit anderen zur Last gelegten „Vergehen" wurde sie verhängt
, wobei das Abhören ausländischer Sender in diesen Fällen - häufigster Anklagepunkt: „Vorbereitung
zum Hochverrat" - dann nur noch als eine Fußnote erscheint. Ein kritischer Ausblick auf den juristischen
Umgang mit den Nazi-Urteilen in der Nachkriegszeit rundet die Arbeit ab.

Alles in allem ist Hensle eine akribisch aufbereitete und sehr detaillierte Darstellung des Phänomens
„Rundfunkverbrechen" gelungen. Allerdings fragt sich der Leser, ob der etwas langatmig ausgefallene
erste Teil der Arbeit nicht einer Straffung bedurft hätte. Nach Lektüre der mit leichter Hand geschriebenen
Einleitung, die gekonnt den Spannungsbogen fürs Weiterlesen aufbaut, ist man nämlich zunehmend
von der Schwere der Darstellung enttäuscht. Die lückenlose Entfaltung des rechtshistorischen Hintergrundes
, insbesondere die fachjuristische Diskussion im Vorfeld des Abhörverbots, mag zwar für den
Fachmann äußerst interessant sein, der sozialgeschichtlich orientierte Leser hingegen dürfte eher zum
Überfliegen der Seiten neigen.

Umso mehr Interesse weckt der zweite Teil, da es dort um den Alltag geht, sprich: um die Menschen,
die vor den Sondergerichten standen. In diesem Teil gewinnt die Studie an spannungsgeladener Farbigkeit
, da Hensle die Delinquenten und ihr soziales Umfeld mit geschickt eingesetzten Zitaten aus Polizei-

218


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2004/0218