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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
123.2004
Seite: 228
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2004/0228
Zwischen Kopfhörer und Trachtenhaube. Bd. 1-3. Kataloge zur Dauerausstellung im Franziskanermuseum
Villingen-Schwenningen. Hg. von Michael Hütt (Veröffentlichungen des Stadtarchivs und der
Städtischen Museen Villingen-Schwennigen 25). Verlag der Stadt Villingen-Schwenningen, Villingen-
Schwenningen 2002. 104 S., 67 S. bzw. 68 S., S/W- und Farb-Abb.

Während Schwenningen wirtschaftlich problemlos mit Villingen mithalten kann, hinkt es kulturell - hier
bezogen auf den Tourismus und das Bewusstsein der eigenen Identität - und auch in Bezug auf das Fastnachtstreiben
deutlich seiner Doppelstadthälfte hinterher. Diesen Eindruck vermitteln auf den ersten
Blick die drei beachtenswerten Ausstellungsbände, die hier vorgestellt werden sollen.

Sicher - in der Einleitung des Fastnachts-Bandes betont Museumsleiter Michael Hütt energisch, dass
die unterschiedlichen Figuren wie Narro, Altvillingerin und Glonki auf Villinger sowie Hansel und
Schande auf Schwenninger Seite „die wichtigsten Träger städtischer Identität geworden" seien (S 6). Dass
man zumindest in Villingen eine ganz eigene Vorstellung davon hat, welche Fastnachtsgestalten museumswürdig
und damit „wertvoll" sind, bewiesen sie spätestens anlässlich der Einrichtung der Fastnachtsabteilung
im Franziskanermuseum: Hier war es, so die Überzeugung eingefleischter Villinger Fastnachtsverfechter
, ihrem Vertreter, dem „althistorischen" Narro, nicht zuzumuten, einen deutlich jüngeren,
also nicht auf lange Tradition verweisenden Schwenninger Hansel zur Seite gestellt zu bekommen. Die
Ausstellungsmacherin Veronika Mertens leistet hier wertvolle Grundlagenarbeit: So habe der Hansel zwar
erst 1932 die knapp 30 Jahre alte Schwenninger Fastnachtsbühne betreten, gleichwohl reiche seine Authentizität
mindestens an diejenige seiner „Gegenfigur" heran. Als man im protestantischen Schwenningen
endlich einen eigenen Typus kreierte, griff man nicht explizit die althergebrachte Narrenikonografie
auf, sondern orientierte sich an aktuellen Maßstäben, die durchaus historisierend sein konnten - ein Potpourri
aus Schwenninger Sagen, vermischt mit Anspielungen auf die Uhrenindustrie der Gegenwart und
Anleihen bei geschichtsträchtigen Nachbar-Narren ergaben eine Gestalt, die inzwischen als Prototyp der
Fastnachtsfigur des 20. Jahrhunderts gelten kann. Die Villinger Fastnachtstradition wurzelt zwar im Mittelalter
, unterlag jedoch über die Jahrhunderte hinweg immer wieder der jeweils aktuellen Mode - eine
Entwicklung, die Veronika Mertens sowohl in ihrem Textbeitrag als auch in der Ausstellung kenntnisreich
und detailliert aufarbeitete.

Auf Traditionen - nicht zuletzt diejenigen der Zähringer - bauten die Villinger auch, als sie im 19. Jahrhundert
daran gingen, ihre kulturelle Identität zu ergründen und zu pflegen - immer mit einem Seitenblick
auf den spätestens seit der Einrichtung der Schwarzwaldbahn im Jahr 1873 als Wirtschaftsfaktor
begriffenen Tourismus. Die Autorin Meike Habicht spürt der Rolle von Fremdenverkehrs-, Verschönerungsverein
und Aussichtsturmgesellschaft nach, stellt Oberförster Hubert Ganter, den „Entdecker" Vil-
lingens als Luftkurort, ausführlich vor und präsentiert auch eklatante Unterschiede zur Entwicklung in
Schwenningen: Hier nämlich war der Verschönerungsverein zwar auch im selben Jahr, 1881, gegründet
worden, hatte sich jedoch von Anfang an auf Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität der eigenen
Bevölkerung konzentriert wie den Aufbau der Straßenbeleuchtung oder die Entfernung von Dunghaufen
und nicht, wie sein Nachbarverein, auf die Erschließung der Stadt und besonders ihrer Umgebung
als touristische Attraktion. Eine genauere Analyse der Auswirkungen dieser konträren Schwerpunktsetzung
wäre sicherlich interessant gewesen, wobei pikanterweise der in Villingen geschasste Bürgermeister
ab 1912 für weitere 13 Dienstjahre die Geschicke Schwenningens leitete, das erst kurz zuvor in den Gemäss
des Stadtrechtes gekommen war. In einem zweiten Beitrag stellt Annelore Walz die Entstehung der
Villinger Altertümersammlung vor, deren Einrichtung mit der Belebung des Fremdenverkehrs begründet
wurde. Die Belehrung und Erbauung der eigenen Bevölkerung hingegen scheint kein Motiv gewesen zu
sein - ein erstaunliches Ergebnis, denn besonders nach der Reichseinigung 1871 spielte der Rückgriff auf
die Geschichte als Mittel zur eigenen Identitätsstiftung eine kaum zu unterschätzende Rolle. Auch hier
wäre ein vergleichender Blick auf die Entwicklung in Schwenningen sicherlich lohnenswert gewesen.
Eines der wenigen im Katalog vorgestellten Schwenninger Exponate weist nämlich exakt in diese Richtung
: In einem Känsterle wird der Neckarursprung gezeigt, der, so ist dem Ausstellungstext zu entnehmen
, im Jahr 1907 anlässlich der Stadterhebung mit einer Tuff Steingrotte neu eingefasst wurde - dies
ließe sich durchaus als Versuch einer Traditionsstiftung interpretieren.

Eine andere Tradition dürfte sich Schwenningen als „bedeutendste Uhrenstadt der Welt" aufgebaut haben
. Und so spielt die Stadt im dritten hier vorzustellenden Ausstellungsband über „Schwarzwälder Wertarbeit
" endlich eine nahezu gleichrangige Rolle. Allerdings wird hier nicht zum x-ten Mal die Geschichte
der Uhrenindustrie bearbeitet, sondern Schwenningen als Motor wirtschaftlicher Entwicklung vorgestellt,

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