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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
124.2005
Seite: 205
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Zeitgleich mit den deutschen Bürgerinitiativen bildeten sich auf der elsässischen Rheinseite
Protestgruppen gegen ein KKW in Fessenheim, die letztlich aber erfolglos blieben. Im Sommer
1971 wurde das gemeinsame Oberrheinische Aktionskomitee gegen Umweltgefährdung
durch Kernkraftwerke und Pfingsten 1972 die Rheintalaktion gegründet. Bis Oktober 1972
wurden 65.000 Unterschriften gesammelt, die zusammen mit 410 Einzeleinsprüchen beim
Erörterungstermin der Landesregierung vorgelegt wurden. Am 19. Juli 1973 wurde dann bekannt
, dass das KKW nun 15 km nördlich bei Wyhl gebaut werden sollte. Noch am selben Tag
erhielt Ministerpräsident Filbinger, zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der Badenwerk AG, ein
Protesttelegramm aus Wyhls Nachbargemeinde Weisweil. Am Tag darauf wurde die Bürgerinitiative
Weisweil gegründet, die zum neuen Zentrum des Widerstands werden sollte.8 Wyhl
selbst war gespalten; für die Befürworter waren finanzielle Vorteile für die strukturschwache
Gemeinde ausschlaggebend. Nach einer Umfrage des Batelle-Instituts waren Anfang 1975
aber drei Viertel der Einwohner des Landkreises und zwei Drittel der Freiburger gegen ein
KKW.(> Der Widerstand konnte auf die Breisacher Erfahrungen und dabei erarbeitete Kenntnisse
zurückgreifen, organisatorisch bildete das Oberrheinische Komitee nun den Kern für weitere
Bürgerinitiativen.

Eng verflochten mit den Aktionen um Wyhl war der Protest gegen ein von den Chemischen
Werken München im nahen Markolsheim (Elsass) geplantes Bleichemiewerk. Im Juli 1974
schlössen sich 21 badisch-elsässische Bürgerinitiativen zu einem Internationalen Komitee zusammen
, wobei neben den Bürgerinitiativen der umliegenden Gemeinden auch Gruppen aus
Freiburg wie die Initiativgruppe KKW-Nein Freiburg, die Gewaltfreie Aktion Freiburg oder der
Arbeitskreis Umweltschutz der Universität beteiligt waren. In einer gemeinsamen Erklärung
wurden Bauplatzbesetzungen angekündigt, was in Markolsheim am 20. September in die Tat
umgesetzt wurde. Der Platz blieb für fünf Monate besetzt, bis der französische Staat auf Druck
der deutschen Bundesregierung den Bau verbot.

Die unnachgiebige, als arrogant empfundene Haltung der Landesregierung und ihre für die
Bevölkerung wenig überzeugende Argumentation führten gleichzeitig zu einer Verschärfung
der Lage in Wyhl. Nachdem das Land zuvor mit Enteignung gedroht hatte, stimmten bei
einem Bürgerentscheid schließlich 55 % der Wyhler für den Verkauf des Baugeländes. Nach
Erteilung einer Teilerrichtungsgenehmigung begannen am 17. Februar 1975 die Bauarbeiten.
Am Tag darauf besetzten einige hundert Demonstranten den Platz, der bei Tagesanbruch des
20. Februars von 650 Polizeibeamten mit Wasserwerfern und Hundestaffeln geräumt wurde.
Am 23. Februar kam es nach einer Kundgebung mit über 25.000 Teilnehmern zur zweiten Bauplatzbesetzung
, die über acht Monate andauern sollte. Eine solche Aktion hatte es in der Bundesrepublik
noch nicht gegeben. Nach Markolsheimer Vorbild wurde auf dem Bauplatz ein
Rundhaus („Freundschaftshaus") als Versammlungsort sowie Blockhütten, ein „Küchen-
häusle" und Toilettenanlagen errichtet - und bau- und gesundheitspolizeilich abgenommen.
Die eigentliche Besetzung wurde von einer Gruppe „ständiger Platzbesetzer" bewerkstelligt,
bei denen es sich um etwa 20 Schüler, Studenten und Arbeitslose handelte. Abwechselnd waren
die umliegenden Gemeinden zur Unterstützung eingeteilt, und am Wochenende fanden
sich bald große Menschenmengen auf dem Platz ein.10 In einem mit Waldeslust und Wider-

8 Einen Einblick in viele Aspekte des Widerstandes bieten: Wyhl - kein Kernkraftwerk in Wyhl und auch sonst
nirgends. Betroffene Bürger berichten. Hg. von Bernd Nössler und Margret de Witt. Freiburg 1976; Wyhl -
der Widerstand geht weiter. Der Bürgerprotest gegen das Atomkraftwerk von 1976 bis zum Mannheimer Prozeß
. Hg. von Christoph Büchele, Irmgard Schneider und Bernd Nössler. Freiburg 1982.

9 Vgl. Bürgerinitiativen im Bereich von Kernkraftwerken. Bericht des Batelle-Instituts e.V. Frankfurt a.M. Hg.
vom Bundesminister für Forschung und Technologie. Bonn 1975, S. 232.

10 Ausführliche Schilderung der Platzbesetzung bei Wolfgang Sternstein: Überall ist Wyhl. Bürgerinitiativen gegen
Atomanlagen. Aus der Arbeit eines Aktionsforschers. Frankfurt a.M. 1978. Schon Anfang März berichtet die
„Badische Zeitung" über Tausende Besucher und zwei fahrbare Würstchenbuden. Vgl. Nikolaus Piper: Beset-

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