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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
124.2005
Seite: 209
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2005/0209
für eine gewaltsame Räumimg bildete.18 Vielfach wird die integrative Atmosphäre der VHS
betont, die zur Stärkung des Zusammenhaltes beigetragen und die VHS zum Bindeglied zwischen
Bürgerinitiativen, Platzbesetzern und Bevölkerung aus der Umgebung gemacht habe.
Die regelmäßigen Veranstaltungen ließen die Volkshochschule zu einem Kommunikationszentrum
der Bewegung werden. Darüber hinaus habe die VHS - so die Interpreten - die verschiedenen
beteiligten Gruppen zusammengeführt: Akademiker aus Freiburg, Studenten, Lehrer
, Wissenschaftler, Bauersfrauen, Winzer und Arbeiter, die sonst nicht viel miteinander zu
tun hatten, saßen zusammen und hörten sich gegenseitig zu. Dies habe zum Abbau wechselseitiger
Vorurteile geführt, da Gegensätzlichkeiten offen zur Sprache kamen. Besondere
Bedeutung für das Zusammengehörigkeitsgefühl wie auch die Integration von Unbeteiligten
wird kulturellen Veranstaltungen beigemessen, die mehr als ein Unterhaltungsprogramm,
mehr als Frischgemüse im Kernkraftwerkseintopf, seien - wie es Wolfgang Beer mehrfach
formuliert.

Den dritten Aspekt der Volkshochschul-Interpretation stellen Konzepte einer neuen Volkskultur
und des Kulturtransfers dar, die in allen Veröffentlichungen betont werden: Es wurde
Musik, Film und Theater gemacht, Verse und Lieder geschrieben und gemeinsam gesungen.
Ein Pädagoge spricht vom Frontalangriff auf den offiziellen „Kultur"-Betrieb der BRD.X9
Neben der mobilisierenden und aktivierenden Bedeutung wird darin auch das Entstehen eines
neuen Bewusstseins und Selbstbewusstseins gesehen. Eine besondere Rolle spielte dabei der
links und rechts des Rheins gemeinsame alemannische Dialekt, der zum Symbol für die Eigenständigkeit
der Region wurde. Zitat: Ich main grad ehis profitiere mir doch bi dem ganze Krieg
... Mir sahne wieder emol, dass mir zämmegehere. Und mit nit anders bringt mr des besser
zum Usdruck, wie mit unserer aigene Sproch.20

Die Landbevölkerung sei dabei nach einem Anstoß durch die städtischen Gruppen selbst
aktiv geworden. Nachdem man den Wissenschaftlern ihr Wissen entrissen hatte, entriss man
den Fotographen, Liedermachern, Zeichnern und Filmemachern ihre Technik und ging selbst
ans Werk.21 Dieser Kulturtransfer wird keineswegs einseitig gesehen, vielmehr sei auf die
Phase der Doktoren und gebildeten Spezialisten die der praktischen Experten gefolgt, in der
die Stadtbewohner ein tieferes Verständnis für die Landbevölkerung und ihr Leben gewinnen
konnten. Gleichzeitig kommt hier das konstruktive Element besonders zum Vorschein. Es werden
hier keine fertige Alternativkultur, keine Programmatik, aber doch Alternativen zu bestimmten
Strukturen gesehen: zum Fortschrittsglauben, zu den vorhandenen Bildungseinrichtungen
oder zur Konsum-Kultur. Das Aufeinandertreffen verschiedener Lebensweisen, von
Reaktionärem und Fortschrittlichem, führe zur Auseinandersetzung mit den eigenen Denk-
und Gefühlsinhalten und stoße damit eine Bewusstseinsentwicklung an, von der immer wieder
zu lesen ist.

Viertens tauchen in den Interpretationen regelmäßig pädagogische Konzepte auf. Ulrich Beller
, Mitglied des Koordinationskreises für die VHS, meint zum Beispiel, Anlass der Entstehung
sei zwar die Platzbesetzung, Ursache jedoch das Bedürfnis nach Reflexion über den weiteren

1X Die Äußerungen stammen aus Ulrich Beller: Bürgerprotest am Beispiel Wyhl und die Volkshochschule Wyhler
Wald. In: Vom Hotzenwald bis Wyhl. Hg. von Heiko Haumann. Köln 1977. S. 269-290, hier S. 283: Gerhard
Wiese: Kulturelle Spontaneität im politischen Kampf. Das Beispiel Wyhl. In: Masse/Kultur/Politik. Argument
Sonderband 23. 1977. S. 151-160. hier S. 155;ASBF. 12.1.11.1. Programme VHS Wyhler Wald: Volkshochschule
Wyhler Wald. Manuskript ohne Angaben zum Autor, vermutlich Juni 1975: Beate Müller/Ulla Bonczek: Mir
lehre uns z wehre - 7 Jahre Volkshochschule Wyhler Wald. In: Büchele u.a. (wie Anm. 8), S. 48-51, hier S. 49;
Beer (wie Anm. 4), S. 88.

19 Wiese (wie Anm. 18), S. 153.
Zitiert nach Walter Mossmann: „Die Bevölkerung ist hellwach!" Erfahrungen aus dem Kampf der badisch-el-
sässischen Bevölkerung gegen ein Atomkraftwerk in Wyhl und ein Bleichemiewerk in Markolsheim. In: Kursbuch
39. Hg. von Hans-Magnus Enzensberger u.a. Berlin 1975. S. 129-152. hier S. 145.

21 So schildert es Wiese (wie Anm. 18), S. 154.

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