Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 465,da
Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
124.2005
Seite: 219
(PDF, 48 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2005/0219
in der Anfangsphase erfüllt hat und somit dazu beitrug, die Argumentationslinien zu verändern.
Als Anziehungspunkt während der illegalen Bauplatzbesetzung und attraktives Zentrum in der
Folgezeit hatte sie großen Anteil an der Akzeptanz der Kernkraftgegner und dem Erfolg der
Wyhler Protestbewegung. Sie sorgte für Zusammenhalt und Kontinuität und eröffnete den Beteiligten
die Möglichkeit, sich auf vielfältige Weise mit dem Protest zu identifizieren. Interpretationen
, die die VHS Wyhler Wald in einen größeren Zusammenhang stellen wollen, sind
jedoch problematisch. Wer von politischer Emanzipation oder auch Kulturtransfer spricht,
läuft Gefahr in einem Zerrbild die Kaiserstühler an sich als apolitische Ignoranten darzustellen
. Der Erfolg der VHS Wyhler Wald lässt sich aber auch durch das fehlende Angebot vergleichbarer
Veranstaltungen erklären. Weil es so etwas auf dem Lande bisher nicht gegeben
hat, begründet etwa ein junger Landwirt den Besuch.43 Die wiederbelebte Regionalkultur
erscheint von Anfang an gespalten, alleine schon weil sie KKW-Befürworter ausschloss. Und
eine Alternativkultur? Das Zusammenarbeiten derer, die sich sonst kaum etwas zu sagen
haben, ist jedoch bereits ein Vorschein einer alternativen Lebensform, schreibt Dieter Rucht.44
Aber warum sollten nicht massive, punktuell übereinstimmende Interessen - bei Landwirten
und Umweltschützern - ausschlaggebend gewesen sein?

Zum Teil eines ökologisch-alternativen Milieus wurde die VHS jedenfalls erst im Verlauf
ihres Schrumpfungsprozesses. Ihr Entstehen war dagegen nur möglich, weil sie im Kampf gegen
das KKW wichtige Funktionen wahrnahm. Allerdings war die Volkshochschule nur ein
Faktor für die Intensität des Wyhler Protests. Die besondere Betroffenheit der Winzer, die
Angst vor dem Verlust der Heimat angesichts irrsinniger Industrialisierungspläne, die Informationspolitik
der Landesregierung, die Nähe zur Universitätsstadt Freiburg und nicht zuletzt
der Transfer französischer Protestkultur aus dem Elsass sind einige andere, die ebenfalls Beachtung
verdienen. Unabhängig davon hat die Interpretation von Wyhl als Wendepunkt der
Ökologiebewegung ihre Berechtigung. Wyhl hatte gezeigt, dass es möglich war, die zwangsläufig
auseinanderlaufenden Meinungen in einer breiten Bewegung effektiv zu integrieren. Die
VHS Wyhler Wald war Teil dieses Lehrstücks. Sie zeigt aber auch dessen Grenzen, wenn man
die Möglichkeiten einer Übertragung in Betracht zieht. Wolfgang Beer empfiehlt allen Bürgerinitiativen
, den Lernprozessen einen institutionalisierten Rahmen zu schaffen, gibt aber
gleichzeitig zu bedenken, dass die Umstände in Wyhl besondere waren. Vor allem die heimatbezogenen
Veranstaltungen seien nur auf dem Hintergrund der kulturellen und politischen Tradition
der badisch-elsässischen Region möglich gewesen.45 Gerade sie aber waren von herausragender
Bedeutung, nicht zuletzt weil sie durch eine Art Selbsthistorisierung die Stilisierung
des Widerstands als eines Abwehrkampfes bodenständiger und heimatverbundener
Bürger stützten.46 Ein Kopieren dieses Konzepts - wohl aus dem Selbstverständnis der Beteiligten
erwachsen und erst dann als strategische Möglichkeit gesehen - war an anderen Standorten
nur zum Teil möglich. Wenn auch nur aufgrund der mit Wyhl beginnenden Sensibilisierung
von Medien und Öffentlichkeit, hat erst der Reaktorunfall von Tschernobyl 1986 wieder
eine ähnlich breite Basis für Kritik an der Atomenergie geschaffen. Zu diesem Zeitpunkt
hatte die Arbeit der VHS Wyhler Wald jedoch schon deutlich an Elan verloren und wurde auch
nicht mehr neu belebt. Insofern ist und bleibt Wyhl und die VHS Mythos einer (Teil-)Genera-
tion und nicht regionales Erweckungserlebnis. Damit ist aber nicht gesagt, dass der Widerstand
gegen das KKW nicht das Leben zahlreicher Beteiligter entscheidend prägte, und auch nicht,
dass der Protest in Wyhl nicht zahlreiche neue Perspektiven eröffnet hat, etwa durch das Auf-

43 So eine der Antworten bei einer Befragung. Zitiert nach ASBF, 12.1.11.1. Programme VHS Wyhler Wald.
Thomas Lehner: VHS Wyhler Wald (Ungekürzte Fassung eines Artikels in der Badischen Zeitung vom
25.10.1975).

44 Rucht (wie Anm. 5), S. 208.

45 Beer (wie Anm. 5). S. 101 f.

46 Rucht (wie Anm. 2), S. 159.

219


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2005/0219