Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 465,da
Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
124.2005
Seite: 239
(PDF, 48 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2005/0239
Hotze, einer Großnichte Rosalie Hausers. Die hier vorliegende Edition beruht auf der ersten Textfassung
von 1910. Der Quellentext wird durch unterschiedlich gehaltvolle Anmerkungen und Kurzkommentare
der Herausgeber ergänzt, die in etwas unorthodoxer Weise auf der linken Buchhälfte stehen, während sich
der Fließtext auf der rechten Seite befindet. Neben der vermeintlich besseren Lesbarkeit war hierfür wohl
auch der Umstand ausschlaggebend, dass der eigentliche Quellentext erst dadurch zur Buchlänge ausgeweitet
werden konnte. Weiterhin sind der Edition eine Reihe von ergänzenden Illustrationen, ein kurzer
Überblick über die Geschichte der jüdischen Landgemeinde Rust (S. 131-135), ein Stammbaum der
Familie Hauser (S. 136) und ein Bebauungsplan Rusts um 1870 (S. 137) beigegeben.

Die Rusterin Rosalie Hauser schildert in ihren Erinnerungen in lockerer Form Anekdoten und Ereignisse
sowie „Sitten und Gebräuche" aus ihrer eigenen Familie und ihrem Heimatdorf. Ihre späten Lebensjahre
nach dem Umzug in das städtische Umfeld spielen hingegen keine Rolle. Insofern kann man
ihre Rückbesinnung durchaus als die persönliche Reflexion einer lebenserfahrenen, nunmehr urbanisier-
ten und verbürgerlichten früheren Landjüdin auf die „Lebensweise der Leute" in der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts bezeichnen. Sie möchte „Zustände" schildern, die „so grundverschieden von den heutigen
", also denen der begonnenen Moderne, sind (S. 17). In Hausers Textkomposition ist zumeist kein
chronologischer Faden erkennbar, sie schließt assoziativ Erzählung an Erzählung und kommt dabei auf
die unterschiedlichsten Inhalte zu sprechen. Es ist die Rede von der Kindererziehung, von abergläubischen
Praktiken, von Feiern und Festen, von Kriegswirren, von der Mode jüdischer Frauen, von den Rüster
Bauersleuten, von den Charakteristika der eigenen Familienmitglieder, von den Einzelheiten der Briefzustellung
, von der antijüdischen Legende der „Unschuldigen Kinder von Endingen", vom Wohnungsinterieur
, von den Franzosen, vom Synagogenbauboom und so weiter und so weiter. Das ist manchmal mehr
amüsant und interessant, manchmal weniger. Vor allem aber ist das Spektrum der Mitteilungen so reichhaltig
, dass es dafür dringend eines sachthematischen Registers bedurft hätte. Dieses wird jedoch nicht
geliefert, und so verliert man sich schnell in der Episodenflut. Dies ist bedauerlich, da Rosalie Hauser
mitunter auch bemerkenswerte Informationen vermittelt. Hier wäre etwa ihre Erzählung über die Revolutionsjahre
1848/49 zu erwähnen, aus der u.a. die Furcht der Landjuden vor den marodierenden badischen
Freischärlern offenkundig wird (S. 35-45). Durchaus von Bedeutung sind auch diejenigen Passagen
, in denen die Koexistenz der christlichen und jüdischen Dorfbewohner geschildert wird, wie beispielsweise
das sich scheinbar entwickelnde, aber doch labile Gemeinschaftsgefühl nach dem Sieg im
Krieg 1870/71, der zunächst „alle konfessionellen Schranken beseitigte." Rosalie Hauser schreibt dazu:
„Nach dem großen Siegeserfolg verbrüderte sich vollends alles. Man hatte sich in schwerer Zeit näher
kennen gelernt und war zur Einsicht gekommen, dass es doch auf beiden Seiten Menschen sind, mit Tugenden
und Fehlern behaftet. Es wäre für beide Teile besser gewesen, wenn es so geblieben wäre, denn
man hätte gegenseitig voneinander lernen können [...] Doch das hat nicht allen eingeleuchtet" (S. 122f.).

Die vorliegende Textedition vermittelt aus verschiedenen Gründen einen letztlich unbefriedigenden
Eindruck. Sicherlich wird der Text als solcher aufgrund seiner regionalen Einzigartigkeit als volkskundliche
Fundgrube oder lokalhistorisches Lesebuch Verwendung finden. Bei der wissenschaftlichen Bearbeitung
sind die Mängel jedoch augenfällig. Es wurde kaum bis gar nichts dafür getan, um den Text editorisch
professionell zu präsentieren. Beispielsweise wird man vergeblich ein Orts- oder Namensregister
suchen, also die gängigen Hilfsmittel, die man bei einer Quellenedition erwarten kann. Die vorkommenden
etwa 20 Orts- und 50 Personennamen hätten dies mehr als gerechtfertigt. Weiterhin fehlen Angaben
darüber, mit welchen Seiten im ursprünglichen Originaltext die Seiten der gedruckten Fassung korrespondieren
. Schließlich hätte man unbedingt diejenige Literatur angeben sollen, in der bisher die schon
seit einigen Jahren u.a. als Archivalie des Leo-Baeck-Instituts bekannte Quelle wissenschaftliche Verwendung
fand. Hier den Eindruck der Erstentdeckung zu erwecken, ist nicht korrekt. Die oben erwähnte
Arbeit von Baumann, bislang die einzige Qualifikationsarbeit zum südbadischen Landjudentum, wurde
noch nicht einmal in das Literaturverzeichnis mit aufgenommen, geschweige denn in ihren Ergebnissen
rezipiert. Der wichtigste Kritikpunkt, den es zu formulieren gilt, führt zur Frage nach der eigentlichen Relevanz
dieser Quellenedition, die die Bearbeiter als „wertvolle sozialgeschichtliche und volkskundliche
Quelle" ankündigen, „die mehr als nur lokale Bedeutung erlangen kann" (S. 13). Dieser Anspruch wird
unterlaufen, indem die publizierte Quelle nicht in den bestehenden Forschungszusammenhang eingegliedert
wird und es bei der reinen Textwiedergabe bleibt. Weder werden der „Sitz im Leben" und der Entstehungskontext
des Hauserschen Textes thematisiert, noch werden die eigentliche Motivation der Schreiberin
oder die Rolle der Adressaten erfragt. Über Frauen aus jüdischen Landgemeinden, die in einer ähn-

239


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2005/0239