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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
125.2006
Seite: 32
(PDF, 44 MB)
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verkündet, auf welche sich dann die neue Rechtsform berief. Bereits der Begriff „Weistum" -
seit den Arbeiten von Jakob Grimm üblich geworden - beinhaltet diese Tatsache:

„Im ursprünglichen Sinne bedeutet Weistum: kollektive Aussage rechtskundiger Männer über das bestehende
Recht. Dabei bezeichnet der Begriff nicht erst die schriftliche Fixierung dieser Aussage, sondern
schon den Wahrspruch selbst. Der Vorgang der unmittelbaren Rechtsfeststellung durch die Gemeinschaft
der Rechtsgenossen heißt dann: die Weisung, ein Begriff, der gelegentlich auch für die Aussage selbst verwendet
wird."49

Die Einleitung des „Großen Dingrodels" enthält - entsprechend dieser Definition - eine Darstellung
des Vorgehens zur Abfassung des Rechtsstückes. Dort werden die ältesten unbedenklichen
(= vertrauenswürdigen) Hintersassen genannt, die unter Eid aussagten, wie sich die
Rechte bisher darstellten. Ebenso untersuchte man bücher, alt register und rodeil, die vom
Klosterbrand 1437 verschont blieben.50 Nach den Erkenntnissen dieser beiden Recherchen ver-
fasste man das neue Weistum. Die Aussagen der bäuerlichen Hintersassen bilden die übliche
Handhabe für die Erstellung von Weistümern. Bis zur Zeit, als der „kulturelle und gesellschaftliche
Umbruch"51 mit der Einführung von Schriftlichkeit in Rechtstexten einsetzte, beruhte
die Verkündung der Rechte ausschließlich auf oralen Traditionen und der damit verbunden
Erinnerung auf den alljährlich stattfindenden Gerichtsversammlungen. Michael Prosser
setzte sich in diesem Zusammenhang mit Oralität und Gedächtniskultur auseinander. Er stellte
Rahmenbedingungen heraus, die diese Weitergabe „von Mund zu Ohr" ermöglichten.

„Denn das, was fürderhin die Schrift zu leisten imstande war, musste vorher auf irgendeine Weise anders
kultural gestaltet worden sein. Der Rezitation der Rechte ohne chirographische Prothese eignete sich eine
Artikulationsform, die drei Bedingungen einer Gedächtniskultur zu erfüllen hatte: Erstens musste der Text
ein der Schriftfunktion äquivalentes kulturelles Korsett erhalten, das die Erinnerung stützt bzw. erleichtert
. Zweitens mussten die Bestimmungen selbst möglichst einprägsam sein, um die Tradition zu garantieren
. Drittens musste der Text in eine Form gekleidet werden, die ihn allgemeinverbindlich, wahrheitsfähig
und zeitlos feststehend perpetuiert wirken ließ, die ihn mithin von alltäglichen und umgangssprachlichen
Äußerungen abhob."52

Im Falle des „Großen Dingrodels", der zeitlich schon gegen Ende der von der rechtlichen
Gedächtniskultur geprägten Phase, d. h. gegen Ende der Weistümer als Rechtstexte und kurz
vor der Einführung des Römischen Rechts entstand, spielt dies dennoch weiterhin eine Rolle.
Die ältesten Männer der Dinghofverbände erlernten ihre Rechte an den oftmals mehrmals jährlich
stattfindenden Dinggerichtsversammlungen in Form von „Memorialfragen"53, die wie das
gesamte Dinggericht ritualisiert vonstatten gingen.54 Es ist anzunehmen, dass diese Verfahrensweise
auch im vorliegenden Fall angewandt wurde, deutet doch der Rodeltext darauf hin
(...so hie zu dienen nach gefragt ...).55 Rechtlich waren die Hintersassen verpflichtet, so hie zu
dienen. Die Herrschaft durfte den Vortrag zudem verlangen.56 Die Möglichkeit des Verschwei-
gens, wie es bei längerer Unterbrechung der Dinggerichtsfolge oder bei einem Herrscher-

49 Dieter Werkmüller: Über Aufkommen und Verbreitung der Weistümer. Nach der Sammlung von Jacob Grimm.
Berlin 1972, S. 67.

50 Siehe die Transkription des „Großen Dingrodels" von St. Peter im Anhang, Einleitung, Z. 39ff. Zusätzlich, im
Unterschied zu früheren Abfassungen, konnte man in der Mitte des 15. Jahrhunderts auf ältere Dokumente
zurückgreifen. Beispielsweise ist aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts ein Weistum erhalten, das die Rechte
über die Dinghofverbände in Eschbach und Günterstal enthält. Es ist die älteste Dingrechtaufzeichnung von
St. Peter und als Kopial im „Großen Urbar des Klosters St. Peter" von 1429 erhalten, GLA, 66/7399, fol. 244r-
250v. Siehe hierzu Prosser (wie Anm. 47), S. 1; Weber (wie Anm. 2), S. 47.

51 Prosser (wie Anm. 47), S. 4.
« Ebd., S. 6.

« Ebd., S. 69ff.
Ebd., S. 81 ff.

55 Vgl. Anm. 50.

56 Prosser (wie Anm. 47), S. 41 f.

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