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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
125.2006
Seite: 204
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2006/0204
Zu den zahlreichen Kuriosa des Alten Reichs zählen zweifellos auch das Hoch- und Domstift Basel. Seit
der Vertreibung aus der Stadt am Rheinknie 1529 hatte das Hochstift seinen Mittelpunkt in Pruntrut/Por-
rentruy im Jura und seiner Umgebung, der Ajoie, in dem der Bischof Landesherr, aber nicht geistlicher
Hirte (Bistum Besangon) war. Das Domkapitel ließ sich nach seiner Zwischenstation in Freiburg (bis
1677) in Arlesheim nieder. Als Ende April 1792 französische Revolutionstruppen das Städtlein bedrohten,
wurde es - was kaum bekannt sein dürfte - erneut nach Freiburg verlegt (S. 140ff.), bis der weitere Kriegsverlauf
auch hier Versammlungen unmöglich machte. Im 18. Jahrhundert wurde der Bewegungsspielraum
des kleinen geistlichen Staats zwischen dem protestantischen Basel, dem Hegemonialbereich Frankreichs,
der österreichischen Nationalkirchenpolitik und den Primatsansprüchen Roms zunehmend enger. Gleichwohl
entfaltete sich nochmals der Glanz einer barocken absolutistischen Residenz, von der der Dom und
das Ensemble der Domherrenhäuser bis heute Zeugnis ablegen. Einblicke in diese Welt liefert der vorliegende
Band, der den Lebensweg eines der bedeutendsten Domherren des Basler Kapitels im 18. Jahrhundert
nachzeichnet.

Christian Franz Freiherr von Eberstein absolvierte eine geradezu typische Karriere: Die dem sächsischen
Ritteradel angehördende Familie kam durch die Verwandtschaft der Mutter im Fürstbistum Eichstätt
zu Würden. Als Germaniker in Rom ausgebildet, gelangte der junge Kleriker durch den Zufall der
päpstlichen Provision in das Domkapitel im Südwesten des Reichs. Obwohl er nicht zum alten Basler
Stiftsadel zählte und bei Wahlen deshalb mehrfach zurückgesetzt wurde, begann er systematisch mit dem
Aufbau eines Verwandtschaftsverbandes durch die Einheirat von Schwester und Nichten in den einheimischen
Adel respektive ihrer Unterbringung in den Klöstern der Region, wozu die dem Buch als Faltkarte
beigelegte Stammtafel einen hervorragenden Überblick gibt. Aber auch persönlich gelang Eberstein
die Einwurzelung in der neuen Umgebung. Neben der erfolgreichen Karriere bis zum Dompropst widmete
er sich seiner umfangreichen Bibliothek mit Naturalienkabinett, von ihm cabinet oder musaeum genannt
, historischen Studien und der Pflege von Gelehrtenfreundschaften jenseits des Hoflebens, das er bisweilen
als barbarie bezeichnete (S. 112). Engere Kontakte unterhielt er mit dem Basler Stadtschreiber
Isaak Iselin, dem Mainzer Geschichtsschreiber Alexander Würdtwein sowie mit Abt Philipp Jakob
Steyrer von St. Peter (168, 171f. und 216) und - insbesondere - Abt Martin II. Gerbert von St. Blasien.
Dieser habe, so vermuten die Autoren, von Eberstein das bekannte Zitat aus Makkabäer 2.2 für sein Exlibris
übernommen (S. 260).

Die Autoren zeichnen Ebersteins Biographie akribisch nach. Ein eigentlicher handschriftlicher Nach-
lass hat sich nicht erhalten, denn die Ironie der Geschichte wollte es, dass die 1792 gewaltsam entzogenen
Besitztümer großenteils überdauert haben, während persönliche Gegenstände von den Erben im 19.
Jahrhundert - unter anderem von Freiburg aus - verkauft oder gar zum Verbrennen bestimmt wurden (S.
317). Die Untersuchung baut daher auf einer Vielzahl, mit detektivischem Spürsinn zusammengetragener
Quellen auf. Ein zweiter Teil gilt dem Gelehrtenleben Ebersteins, seiner Korrespondenz und den Themen,
die darin anklingen. Schließlich werden Ebersteins Sammlungen, seine äußeren Lebensumstände und
seine Familie behandelt und die Zerstreuung seines Nachlasses nachgezeichnet. Ein eigenes Kapitel über
die Einkünfte des Domherren ist weniger wegen des geschätzten Ergebnisses (zuletzt etwa 3.300 lb), als
vielmehr der detaillierten Auffächerung ihrer Zusammensetzung von Interesse. Ein Anhang gibt das wesentlichste
Selbstzeugnis Ebersteins, das Vorwort zu seinem Bibliothekskatalog, wieder und stellt seine
erhaltenen Schriften zusammen.

Das Buch entstand auf Anregung des Freundeskreises des Doms zu Arlesheim, der sich der kleinen Residenz
und ihrer Geschichte annimmt. Dieser Initiative ist die tiefschürfende Quellenforschung und die
hervorragende verlegerische Ausstattung des Buches zu verdanken. Aber auch seine Konzeption, die sich
an eine breite Öffentlichkeit wendet und dem Leser den Komfort einer Übersetzung sämtlicher lateinischer
und französischer Zitate, ein ausführliches Glossar wie auch einen lesenswerten Überblick über die
Geschichte der geistlichen Staaten und des Fürstbistums Basel bietet (S. 55-66). Die Autoren entgehen
freilich nicht ganz der Gefahr, die kritische Distanz zu ihrem Protagonisten zu verlieren. Über den Bibliothekskatalog
, der „auch im internationalen Vergleich [...] ein ausserordentliches Dokument" darstellt
(S. 234) und in dem Eberstein seine geistigen Interessen für die Nachwelt bewusst inszenierte (S. 250 und
323), sowie die erhaltenen Bücher, in denen sich Notizen von seiner Hand über Zeit und Dauer (!) seiner
Lektüre erhalten haben (S. 264f.), wüsste man gerne mehr, ergäbe sich doch hier die Möglichkeit, den geistigen
Horizont und die Lesepraxis eines Domherren beispielhaft zu untersuchen. Es ist daher zu wünschen
, dass dieser Aspekt nochmals an anderer Stelle aufgriffen wird. Das vorliegende Buch beweist, dass

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