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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
125.2006
Seite: 207
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2006/0207
Bettina Bubach: Richten, Strafen und Vertragen. Rechtspflege der Universität Freiburg im 16. Jahrhundert
(Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen NF 47). Duncker & Humblot, Berlin 2005. 443 S.,
2 Textabb., Grafiken.

In den vergangenen Jahren sind gleich drei Untersuchungen zur Universität Freiburg im 16. Jahrhundert
entstanden: Neben der ungedruckt gebliebenen Dissertation von Horst Ruth über ihr Personen- und Äm-
tergefüge, Kim Siebenhüners Magisterarbeit über Studenten vor Gericht und schließlich die hier anzuzeigende
rechtsgeschichtliche Dissertation von Bettina Bubach. Schon der Titel „Richten, Strafen und Vertragen
", der sich prononciert von Siebenhüners „Zechen. Zücken, Lärmen" absetzt, bringt die Perspektive
der Rechtshistorikerin zum Ausdruck, die nicht aus studentischer Devianz auf allgemeine kulturelle Praktiken
schließen mag. sondern in umgekehrter Richtung auf die Formen der Rechtspflege an der Universität
blickt. Die Universität tritt dabei nicht als Lehrstätte und auch nicht in ihrer Gutachtertätigkeit in
Erscheinung, sondern in ihrer Funktion als unterer Gerichtsstand für ihre Angehörigen. Das Interesse der
Arbeit gilt den Verfahrensregeln und den Mechanismen der Konfliktlösung vor Gericht (S. 19). Der erste
der vier Hauptteile, in die sie gegliedert ist, nimmt sich der universitären Gerichtsorganisation an. Entgegen
der Ansicht der älteren Forschung betont die Verfasserin, dass sich die Universitätsorgane, die Verwaltungsstruktur
und die gerichtlichen Verfahren erst im Verlauf des 16. Jahrhunderts herausgebildet
haben (S. 88-94). Für die Gerichtstätigkeit konturiert sie das Zusammenspiel aus Senat und seinem Ausschluss
, dem Konsistorium, als einer funktionalen Arbeitsteilung nach Straf- und Zivilklagen (S. 97-101
und 397). Die beiden folgenden Teile gelten der jeweiligen Gerichtstätigkeit, die nach den zur Anwendung
gebrachten juristischen Verfahrensweisen befragt wird. Da die privatrechtlichen Klagen bemerkenswerterweise
die Disziplinarangelegenheiten vor dem Universitätsgericht überwogen, geht der letzte Teil
nochmals diesen, vor dem Konsistorium verhandelten Konfliktstoffen nach.

Ein wichtiges Ergebnis der Untersuchung ist, dass die Rezeption des römischen Rechts in der Gerichtspraxis
der Universität weitaus weniger weit vorangeschritten war, als man aufgrund ihrer Funktion als
Zentrum des gelehrten Rechts erwarten sollte: Das Gericht besaß keine schriftlichen Normen, denen es
die Fälle hätte subsumieren können, sondern urteilte nach dem prauch; lateinische Rechtssätze verwendete
man häufig als „rechtliche Bildungsbrocken, die dem Gericht vorgeworfen wurden" (S. 234, 354 und
404f.). Wichtige Grundlage für die Urteile war der Eid. mit dem sich die Universitätsangehörigen der Universität
unterworfen hatten, also eine Form des älteren Personenverbandsprinzips (S. 197 und 236). Der
Übergang von der Buße zur Strafe als Ausdruck einer öffentlichen Strafrechtspflege vollzog sich ebenfalls
nur schleppend. Da eine Zwangsgewalt zur Vollstreckung der Urteile weitgehend fehlte, orientierte
sich die Tätigkeit des Konsistoriums auch im 16. Jahrhundert noch an der Konsensfindung in mittelalterlicher
Tradition. Insgesamt wird die Effizienz des Universitätsgerichtes jedoch - auch vor dem Hintergrund
aktueller juristischer Diskussionen - durchaus positiv bewertet, denn das Ziel der Gerichtstätigkeit
sei nicht das Fällen von Urteilen gewesen, sondern die Befriedung der Parteien, für die alleine das Verfahren
schon ein Mittel der Versachlichung dargestellt habe: „Überspitzt könnte man für das Universitätsgericht
dann formulieren, daß ein Endurteil gerade das Versagen des normalen Weges der einverständlichen
Streitschlichtung bedeutete" (S. 394).

Die Untersuchung geht zurecht einen induktiven Weg. indem sie von denjenigen Verfahrensregeln ausgeht
, die in den Prozessakten aufscheinen, und vor Anachronismen warnt, die sich aus der Ableitung historischer
Aussagen aus der Rechtsdogmatik des 19. Jahrhunderts ergeben (S. 330f„ 352f. und 367f.). Hinter
dem systematischen Aufbau der Arbeit schimmert jedoch immer wieder durch, dass die Rechtsfindung
der Universität in hohem Maß von außerjuristischen, gesellschaftlichen Faktoren wie dem Status der Beteiligten
und deren sozialem Netz (z.B. S. 357, 387, 392 und 399), aber auch z.B. dem Bestreben nach
Verteidigung bzw. Ausweitung der eigenen Kompetenzen bestimmt war (S. 202, 362 ff. und 399). Es fragt
sich daher, ob dieser spezifisch vormoderne Aspekt der Rechtspflege neben der rein juristischen Seite
nicht stärker hätte berücksichtigt werden müssen. Aus Sicht der stadtgeschichtlichen Forschung bleibt zu
beklagen, dass dem Buch zwar ein Sach- aber kein Personenregister beigegeben ist, was einer weiteren
Nutzbarmachung der hier ausgewerteten Prozessakten erheblich im Wege steht.

Denn trotz des anders ausgerichteten Interesses kommt auch in Bubachs Untersuchung das Leben der
Freiburger Universitätsbesucher nicht zu kurz: Da ist von ausgeleerten Nachttöpfen zu lesen (S. 185), von
Büchern, die als Pfand gesetzt werden (S. 258) und von einem geleerten Weinfass, das mit Wasser wieder
aufgefüllt wurde (S. 378); „die phantasievollsten Schmachreden der Verhörprotokolle" stammen gar vom

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