Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 465,da
Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
126.2007
Seite: 255
(PDF, 57 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2007/0255
sehen Geschäften vorzugehen, den verheerenden Eindruck mildern, den die brutalen Aktionen
nicht nur im Ausland hinterlassen hatten.233 Vor der Entlassung hatte sich Hans Heitier allerdings
auch verpflichten müssen, sofort seine Auswanderung aus Deutschland in die Wege zu
leiten.234

Wie sehr NS-Behörden und Parteistellen daran lag, die Auswanderung der Juden zu beschleunigen
, belegt ein auf Weisung des Gauleiters ergangener Erlass des badischen Innenministers
vom 12. Dezember 1938, der unter anderem feststellte: Das Ziel der Staatsführung in
der Auseinandersetzung mit dem Judentum ist, die Juden baldmöglichst außer Landes zu bringen
. Die Auswanderung der Juden ist daher mit allen Mitteln zu fördern.235 Auch Württemberg
wollte das sogenannte Judenproblem' zunächst durch Auswanderung ,lösen'.236 Ein sehr wirksames
Mittel dazu war, wie der württembergische Sicherheitsdienst feststellen konnte, die massenhafte
, Angst erzeugende Inhaftierung bei Nacht und Nebel: von den 878 verhafteten Juden
hatten sich immerhin 253 sofort zur Auswanderung bereit erklärt237 - unter ihnen Hans Heitier
. Ihm blieb aber auch gar keine andere Wahl, denn als Ingenieur konnte er in Stuttgart nicht
mehr arbeiten. Zwar wurde ihm nicht gekündigt, obwohl die Partei auf Dr. Herberg, den Inhaber
des Ingenieurbüros, entsprechenden Druck auszuüben suchte. Doch war seine Tätigkeit nun
ganz auf reine Büroarbeit beschränkt und Besuch von Kunden unmöglich gemacht.™ Zudem
wurde die öffentliche Hetze gegen die Juden auch in Stuttgart, das sich schon in den Anfängen
der Weimarer Republik zu einer Hochburg des offen agierenden völkischen Antisemitismus
entwickelt hatte,239 immer bedrohlicher. Im Dezemberheft veröffentlichte die angeblich „unabhängige4
' Wochenschrift „Flammenzeichen", in Wirklichkeit ein übles antisemitisches NS-
Blatt, unter der Überschrift Schach dem Judentum: Die sogenannten vornehmen, angeblich
harmlosen Hebräer eine Doppelseite mit Fotos, Namen, Beruf und Anschriften der in Welzheim
Inhaftierten, auf der sich auch Hans Heitier wiederfand.240

233 Zu den Maßnahmen gegen Plünderer und Görings Weisung zur Entlassung der jüdischen Frontsoldaten vgl. die
Dokumentation von Sauer (wie Anm. 211), Bd. 2, S. 42f. und 50f. Mitte Dezember wurden alle über 50 Jahre
alten jüdischen Schutzhäftlinge entlassen. Ebd., S. 52. - Zur Haltung der württembergischen Bevölkerung vgl.
die Einschätzung, die der amerikanische Generalkonsul in Stuttgart in seinem Bericht vom 12.11.1938 festhielt:
The vast majority of the non-Jewish German population, perhaps as much as 80 per cent, has given evidence of
complete disagreement with these violent demonstrations against the Jews. Many people, in fact, are hanging
their heads with shame. Ebd.. S. 37. Vgl. dazu auch den „Geheimbericht des Sicherheitsdienstes Reichsführer-
SS Unterabschnitt Württemberg-Hohenzollern für das 4. Vierteljahr 1938". der nicht nur für die katholische und
evangelische sowie für die liberal eingestellte Bevölkerung feststellen musste, dass die Judenaktion auf weitgehende
Ablehnung gestoßen war; selbst in rechtskonservativen Kreisen sei in Einzelfällen scharfe Kritik zu hören
gewesen. Ebd., S. 53ff. Den Betroffenen nützten freilich diese Reaktionen wenig, da sie sich nicht öffentlich artikulierten
und deshalb wirkungslos blieben.

334 Inhaftierte, die bereits ein Visum besaßen oder die Auswanderung konkret in Aussicht stellen konnten, wurden
als erste entlassen. Müller (wie Anm. 226), S. 306.

"5 Sauer (wie Anm. 211), Bd. 2, S. 69ff.

236 Paul Sauer: Württemberg in der Zeit des Nationalsozialismus. Ulm 1975, S. 413.

237 Geheimbericht des Sicherheitsdienstes Reichsführer-SS Unterabschnitt Württemberg-Hohenzollern für das 4.
Vierteljahr 1938. Der Bericht für das 1. Vierteljahr 1939 hielt fest, dass seit der Novemberaktion 1938 bis Ende
März 1939 672 Personen aus Württemberg-Hohenzollern ausgewandert waren. Sauer (wie Anm. 211), Bd. 2,
S. 54 und 92. - Die Bereitschaft zur Auswanderung konnte allerdings nur erklären, wer die Chance zur Emigration
- und das heißt vor allem, einen Bürgen im Ausland - besaß.

238 Vgl. Hans Heitiers Schreiben vom 7.4.1955 und 5.11.1960. StAL, EL 350 Büschel ES 12938.

239 Andrea Hoffmann/Utz Jeggle/Martin Ulmer: Jüdische Modernität und Antisemitismus in Württemberg
1871-1938. In: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 63 (2004), S. 309-368. hier S. 357f. - Jürgen
Genuneit: Völkische Radikale in Stuttgart. Zur Vorgeschichte und Frühphase der NSDAP 1890-1925 (Ausstellungsreihe
Stuttgart im Dritten Reich 2). Stuttgart 1982.

240 Müller (wie Anm. 226). S. 305f. Die Doppelseite ist abgebildet bei Zelzer (wie Anm. 226), Bildanhang nach
S. 398. - In Freiburg kam das auf niedrigstem Niveau agierende Hetzblatt, das auch oppositionell eingestellte
Mitglieder beider Kirchen massiv angriff, zu universitären Ehren; es lag in der „Akademischen Lesehalle" aus.
Universitätsbibliothek Freiburg, MF 88/36.

255


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2007/0255