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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
127.2008
Seite: 152
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anderen Ukrainerinnen musste sie täglich unter Bewachung ins Eisenbahnbetriebswerk
marschieren, um dort Waggons und Lokomotiven zu reinigen, d. h. auch die Feuerung der
Dampflokomotiven auszuräumen, Rußfänger zu putzen und Schlacken herauszuschlagen. Als
sie sich mangels Strümpfen im Winter die bloßen Füße in den Holzschuhen mit Lappen
umwickelten, wurde das von den Vorarbeitern verboten. Sie durften sich auch nicht an den
großen Koksöfen der Halle aufwärmen und nach der Arbeit gab es zum Waschen nur kaltes
Wasser. Heimlich benutzten die Frauen das noch warme Kesselwasser der Lokomotiven. Ihr
Bruttolohn von 42 Reichsmark pro Monat wurde für Unterkunft und Verpflegung einbehalten.17

Es gibt eine ganze Reihe von Aussagen ehemaliger Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen
, welche die Reichsbahn als besonders ausbeuterischen Dienstherrn schildern. Der Bahn in
dieser Beziehung kaum nachgestanden hat die Stoiberger Zink AG mit ihrem Erzbergwerk in
Kappel.18 Auch hier haben wir schriftliche und mündliche Zeitzeugenaussagen, zum Beispiel
von Aleksej Gapischko, Aleksej Dowschenko und Ivan Plushnik, mit denen wir 2003, als sie
auf Einladung der Stadt nochmals in Freiburg waren, zu ihrem alten Arbeitsplatz, dem Kappler
Stollen hoch oben am Schauinsland gefahren sind (Abb. 3). Gearbeitet wurde dort oben im
Dreischichtbetrieb, jeweils 8 Stunden. Die Ernährung mit Freibankfleisch, Rübenschnitzen und
Brot war unzureichend. Teilweise gaben die deutschen Bergarbeiter, die im Unterschied zu den
Ukrainern während der Arbeit mit warmem Essen versorgt wurden, den jungen ausländischen
Kollegen Teile ihrer Ration ab, damit diese überhaupt bei Kräften und arbeitsfähig blieben.
Prügeln zur Einschüchterung und Disziplinierung war nichts Außergewöhnliches.

Nur kurz war der Aufenthalt der 17-jährigen Paraskowja Leschtschenko (nach ihrer Heirat:
Romanowa) im Freiburger „Ostarbeiterlager", als sie 1943 mit 300 anderen Frauen aus der
Ukraine nach Deutschland verschleppt wurde (Abb. 4). Sie wurde gleich weitertransportiert
nach Todtnau, wo die Freiburger Schlossfabrik Theodor Kromer Steuersätze für Raketengeschosse
baute. Noch immer steht dort jenes alte Fabrikgebäude, in dem die Geschosse gebohrt
und gefräst wurden. Als wir beim Besuch von Frau Romanowa/Leschtschenko davor standen,
übermannten sie die schlimmen Erinnerungen an ihre Zeit dort. Es war Präzisionsarbeit
verlangt, die den ungelernten Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen schwerfiel. Aber Ausschussproduktion
wurde mit Essensentzug und Auspeitschen bestraft. Gearbeitet wurde in zwei
zwölfstündigen Schichten. Die Fertigung von 30 Treibsätzen pro Schicht - ein kaum zu
bewältigendes Pensum - war gefordert. Zu essen gab es nur mit Sägemehl versetztes sogenanntes
„Russenbrot", d. h. Kartoffelschalen, Suppe und Rüben. Frau Leschtschenko, die der
Arbeit in der Fabrik nicht gewachsen war, hatte das Glück, nach einiger Zeit zum Küchendienst
abkommandiert zu werden. Beim Essenstransport in die Fabrik wäre ihr ein Zwischenfall
allerdings fast zum Verhängnis geworden: Als sie halbverhungerten Landsleuten, die auf der
Straße an ihr von Wachen vorbeigetrieben wurden, verbotenerweise Brot zuwerfen wollte,
wurde sie ergriffen und nur durch das Eingreifen einer deutschen Mitarbeiterin vor dem sofortigen
Erschießen bewahrt. Sie verbrachte drei Tage Strafhaft in einem rattenverseuchten
dunklen Keller. Als sie dort schließlich wieder herauskam, konnte sie vor Ekel nichts mehr
essen. Mit Gummiknüppeln wurde ihr der Appetit wieder eingebläut.19

Die Fülle solcher eindringlicher Erlebnisberichte, die im Stadtarchiv Freiburg vorliegen, ist
groß und man könnte noch viel daraus zitieren.20 Eine Auswahl ist im 2004 vom Stadtarchiv
vorgelegten Forschungsbericht über die Zwangsarbeit in Freiburg auszugsweise abgedruckt.
Dort ist auch nachzulesen, was zu den Kapiteln Zwangsabtreibungen und Zwangssterilisierungen
sowie zu pathologischen Untersuchungen an verstorbenen Zwangsarbeiterkindern in der

17 StadtAF, M2/429 Nr. 2; Spitzmüller (wie Anm. 3), S. 76-82, 112f., 137f., 147 und 162.

18 StadtAF, M2/429 Nr. 2, 3 und 5; Spitzmüller (wie Anm. 3), S. 89ff.

19 StadtAF, M2/429 Nr. 5; Spitzmüller (wie Anm. 3), S. 74f., 116f. und 130.

20 StadtAF, M2/429 Nr. 2-5.

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