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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
127.2008
Seite: 180
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Das medizinische Wissen der Ägypter haben sich dann, so Susanne Dietrich, Griechen, Römer, Hebräer
, Araber und Perser zunutze gemacht. Besonders bei den Erstgenannten spielten Frauen in der Krankenfürsorge
eine bedeutende Rolle. Zahlreiche Ärzte und Dichter, wie Horaz und Galen, erwähnen heilkundige
Frauen. Oft waren sie als Geburtshelferinnen tätig.

Viele medizinische Kenntnisse der Antike wurden später in arabischen Ländern und in Persien weiterentwickelt
. Frauen durften hier allerdings nur noch Hebammen sein. Als besondere Autorität galt der persische
Arzt und Gelehrte Avicenna (930-1037). Seine Erkenntnisse hatten großen Einfluss auf nachfolgende
Generationen von Gelehrten und Medizinern.

Die Brücke von diesem wissenschaftlichen Gebiet in die lateinische Welt bildeten zahlreiche jüdische
Gelehrte. Dabei ist bemerkenswert, dass etwa die Schriften von Aristoteles und Hippokrates verloren gingen
und für uns nur erhalten geblieben sind, weil man sie vor ihrer Vernichtung ins Arabische übersetzt
hatte. Später erfolgte dann ihre RückÜbertragung ins Lateinische.

Im Mittelalter profitierte man vom medizinischen Wissen der Antike, von arabischen und persischen
Gelehrten. Die Autorin nennt dabei als Beispiel die medizinische Schule von Salerno, bei der Trotula, die
Ehefrau eines Arztes und andere Frauen sowohl in der Heilkunde als auch in der Forschung tätig waren.
Die Verwendung von Opium bei Operationen und das einhalten strenger Hygienemaßnahmen waren ihnen
selbstverständlich. Nördlich der Alpen dagegen gestaltete sich nach Ansicht von Susanne Dietrich die
Heilerei generell als wahre Katastrophe. Lediglich in den Klöstern gab es Frauen - meist vornehmer Abstammung
- in der medizinischen Forschung. Am Ende des 12. Jahrhunderts entstand auch das Beginen-
tum. Frauen widmeten sich jetzt Armen und Kranken und konnten so wenigstens örtlich begrenzt die medizinische
Versorgung der Bevölkerung aufrecht erhalten. In den mittelalterlichen Städten, wie zum Beispiel
in Frankfurt, Bologna und Florenz, arbeiteten auch viele Ärztinnen.

In der frühen Neuzeit wurden die Frauen dagegen in den privaten Bereich zurückgedrängt. Medizinerinnen
gab es dann keine mehr. Lediglich als Heilerinnen, Hebammen und Wundärztinnen an der Seite
männlicher Verwandter durften sie noch praktizieren. „Weise Frauen" traten jetzt häufig auf, deren Kundschaft
sich aus Schwangeren, alten Impotenten, verschmähten Liebhabern oder geplagten Müttern rekrutierte
. Selten Genug, aber immerhin kam es vor, dass eine von ihnen, wie „die Streicherin" von Ulm.
höchste Würdenträger behandelte. Die unter dem Einfluss von Paracelsus (1493-1541) stehende „kaiserliche
Leibärztin" zählte nicht nur den Bischof von Speyer, sondern auch Kaiser Maximilian II. zu ihren
Patienten. In den Klöstern waren zumeist adelige Frauen damit beschäftig, Kranke zu pflegen, mit Essenzen
zu experimentieren und Arzneibücher zu schreiben. Der Weg von der Heilkundigen zur Hexe war
allerdings in diesen Jahrhunderten nicht allzu weit. Susanne Dietrich leitet diese Entwicklung vom geänderten
Frauenbild dieser Epoche ab. Frauen galten zunehmend als minderwertig und kaum belastbar. Dass
aber gerade in den deutschen Bischofstädten die Hexenprozesse einen traurigen Höhepunkt erreichten,
legt nahe, dass die Kirche diese Verbrechen maßgeblich förderte. Es gab aber nach den Erkenntnissen der
Autorin noch andere Beweggründe, Frauen aus den Heilberufen zu verdrängen und auch ihre Tätigkeit als
Hebamme streng zu kontrollieren. Nach den verheerenden Pestseuchen des Spätmittelalters unternahmen
die Herrschenden (vor allem der Adel und die Kirche) alles, Gebärfähige zu einer möglichst großen Kinderschar
zu bewegen. Man musste ja den Mangel an Arbeitern, Soldaten und Gläubigen wieder auffüllen.
Die oftmals in der Empfängnisverhütung und Abtreibung tätigen Frauen standen diesem Bestreben
entgegen. Was Wunder, dass man sie mit Hilfe übler Denunziation aus dem Weg räumen wollte.

Darüber hinaus hatten die Männer inzwischen den Heilberuf als zumeist lukrative Domäne entdeckt
und die heilkundigen Frauen dabei als lästige Konkurrenz ausgeschaltet. Letzten Endes war die Mehrheit
der Bevölkerung bei Krankheit oder Verletzung auf Barbiere, Bader, Kräuterweiber und meist unkundige
Wundärzte angewiesen. Nur in den größeren Städten konnten sich Wohlhabende Ärzte leisten. Aber auch
diese hatten wegen des Sezierverbots kaum genügend Ahnung vom menschlichen Körper, von Operationstechniken
und Narkotika. Nur so ist die von der Autorin herausgefundene erschreckend hohe Todesrate
gerade bei Geburten zu erklären. Noch im 19. Jahrhundert starben zwischen 1821 und 1825 in Württemberg
1.248 Mütter und 10.630 Kinder bei der Geburt (bei insgesamt 219.353 zur Welt gekommenen).
Sicherlich war die Todesrate bei Krankheiten und Verletzungen ähnlich hoch.

Gerne gesehen wurde die Hilfe der Frauen in Heilberufen schließlich nur noch in Spitälern und Klöstern
, wo sie schlecht bezahlt Krankenpflege bis zur Erschöpfung verrichten durften. Die Reformation verursachte
wegen der Auflösung zahlreicher Klöster einen weiteren Einbruch bei der Versorgung von Kran-

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