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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2010/0174
Einen Bruch in organisatorischer Hinsicht bedeutete die Errichtung von getrennten Institutionen für die
beiden Besatzungszonen nach dem Kriegsende 1945, amerikanisch im Norden, französisch im Süden. Erst
1953 entstand wieder ein einheitlicher Oberrat mit Sitz in Karlsruhe. Kaufmann gibt zu bedenken, „dass
1953 eine demografisch ganz andere Gruppe in Baden lebte". Wolfgang Fühl, der auf die Zuwanderung
von etwa 3.500 Juden aus dem Bereich der ehemaligen Sowjetunion hinweist, schreibt im Vorwort: „Wenn
25 % der Juden 75 % zugewanderte Juden integrieren müssen, so bleiben Probleme und Spannungen nicht
aus." Diese hatte es auch schon im 19. Jahrhundert gegeben zwischen liberalen, konservativen und
orthodoxen Juden.

Wie man sich die unmittelbare Nachkriegszeit vorzustellen hat, erklärt der Stuttgarter Rabbiner Joel
Berger in „Einwanderung jüdischer Migranten und jüdischer Kultur in Baden-Württemberg nach 1945".
Seine Ausführungen beziehen sich auf die amerikanische Zone und vor allem auf Nord-Württemberg und
werden gut ergänzt durch den Beitrag von David Kessler über „Juden in Mannheim nach 1945". Hier
konnte schon 1946 wieder eine Synagoge eingeweiht werden. Zur Gemeinde zählten um die hundert Mitglieder
, während nicht weit entfernt in Lampertheim Displaced Persons aus Osteuropa in einem Lager lebten
und auf ihre Ausreise nach Israel oder in die USA warteten. Monica Kingreen wertete Quellen zur
Geschichte dieses Lagers aus, das bis 1949 bestand, und resümiert: „Diejenigen jüdischen Displaced
Persons, die nicht nach Israel, USA oder Kanada auswandern wollten oder konnten, wurden ,das physische
Rückgrat' der jüdischen Nachkriegsgemeinden."

Wie alles nach 1945 angefangen hat, erfährt der Leser von Klaus Techemacher, der die Geschichte der
jüdischen Gemeinde Emmendingen schreibt und dabei Gültiges für ganz Südbaden festhält. Detailliert
und lebensnah dokumentiert er die Zuwanderung vor und nach dem Inkrafttreten des Kontingentflüchtlingsgesetzes
1991, lebensnah und unmittelbar, da er selbst vielen Neuankömmlingen bei der Bewältigung
der Anlaufschwierigkeiten geholfen hat. Probleme gab es nicht nur bei der Wohnungsbeschaffung, sondern
auch im Miteinander der „Alten" und „Neuen" in der Gemeinde, zumal da letztere zum Teil der deutschen
Sprache nicht mächtig waren. Techemacher hat mit seinem Beitrag eine Quelle geschaffen.

Das Hauptgewicht der 41 Beiträge von 26 Autoren liegt auf der Zeit nach dem Edikt von 1809 bis in
die Jetztzeit. Vier Aufsätze reichen weiter zurück: Johannes Heil behandelt die Geschichte der Juden am
Oberrhein im Mittelalter und Monika Preuß die jüdische Kultur im Kraichgau im 18. Jahrhundert. Sie
führt den Leser damit in den Norden des späteren Großherzogtums, wo die jüdischen Gemeinden wesentlich
dichter gesät waren als im Süden. Dieses Gefälle zwischen Nord- und Südbaden erschließt sich
bei einem Blick auf die Karte auf dem Schutzumschlag, die Baden in den Grenzen zeigt, die bei der Verwaltung
sreform der 1970er-Jahre festgelegt wurden.

Interessante und gut bebilderte Beiträge befassen sich mit den badischen Synagogen und den jüdischen
Friedhöfen. Eine Stärke des Bandes liegt auf dem personengeschichtlichen Teil. Susanne Asche stellt
jüdische Frauen aus Karlsruhe vor, die sich früh durch Schulbildung und Studium emanzipiert hatten, darunter
die Chemikerin Dr. Klara Immerwahr-Haber, die Ehefrau des Nobelpreisträgers von 1918 Fritz Haber
, dessen Name mit der Gewinnung von Stickstoff aus der Luft, aber auch mit der Entwicklung von Giftstoffen
verbunden ist. Seine Biografie hat Jürgen Schuladen-Krämer verfasst. Monika Pohl beschreibt das
Leben des Juristen und SPD-Politikers Ludwig Marum, das 1934 tragisch mit gewaltsamem Tod im Konzentrationslager
Kislau endete. Eine Fluchtmöglichkeit hatte er ausgeschlagen und die Emigrationspläne
seiner Familie in Verkennung der Unerbittlichkeit des neuen Regimes abgelehnt. Christiane Pfanz-Spo-
nagel stellt den Rechtsanwalt Julius Ellenbogen (1878-1961) vor, der zur Zeit der Weimarer Republik in
Karlsruhe für den Oberrat tätig war und 1940 nach Frankreich deportiert wurde. Nach dem Krieg ließ er
sich in Freiburg nieder, fand Verwendung in der Justizverwaltung und engagierte sich in der Freiburger
Israelitischen Gemeinde, deren Vorsitzender er 1953 nach dem Tod von Nathan Rosenberger wurde. Im
selben Jahr wurde er stellvertretender Vorsitzender der eben wiedervereinigten Israelitischen Religionsgemeinschaft
Baden. Die Autorin bezeichnet ihn als „Bindeglied zwischen der Vorkriegs- und Nachkriegsorganisation
". Er galt „als einer der Garanten für Kontinuität".

Wenden wir uns noch einmal den „Neuen" zu, die aus osteuropäischen Ländern kamen, wohin ihre Vorfahren
Jahrhunderte zuvor ausgewandert waren. Joel Berger erklärt die großen Linien dieser Migrationsbewegungen
und zeigt, wie eine polnische Verwaltungsmaßname aus dem Jahr 1938 viele dortige Juden
staatenlos machte und in die deutschen Konzentrationslager brachte, nach dem Krieg dann in die Lager
für Displaced Persons. Rosa Friedmann brachte ihre eigene Migrationsgeschichte zu Papier. Ihr Geburtsort
Baranovicze lag in Ostpolen, das 1939 gemäß dem Hitler-Stalin-Pakt sowjetisch wurde. Die fünf Jahre

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