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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2011/0133
mehr keine Sinti mehr in der Stadt gewohnt hätten. Es gab sehr wohl noch Sintifamilien mit
festen Wohnadressen in Freiburg.13 Sie wurden von der zunehmenden Repression und nun einsetzenden
Verfolgung nicht verschont. Zwar waren schon bei der sogenannten „Machtergreifung"
1933 zahlreiche Gesetze und Verordnungen zur Überwachung der Sinti und Roma und zur
„Bekämpfung des Zigeunerunwesens" in Kraft, doch kamen jetzt vermehrt die von den neuen
Herren geförderte „Rassentheorie" und sogenannte „rassenhygienische Gesichtspunkte" zum
Zuge, die vor allem der Tübinger Psychiater Dr. Robert Ritter, seit 1937 Direktor der „Rassehygienischen
und Erbbiologischen Forschungsstelle des Reichsgesundheitsamtes", entwickelte.14
Mit der Erklärung der Sinti und Roma zu Trägern artfremden Blutes, die es aus der arischen
Volksgemeinschaft auszusondern gelte, in den Nürnberger Gesetzen, zeichnete sich schon 1935
der spätere Völkermord ab, dem 300.000 bis 500.000 Sinti und Roma in Deutschland, den
besetzten Gebieten und den Vasallenstaaten bis 1945 zum Opfer fallen sollten.15 Die Verfolgung
nahm etappenweise mit Maßnahmen vom „Erlass zur Bekämpfung der Zigeunerplage" am 8.
Dezember 1938 bis hin zum „Auschwitzbefehl" Himmlers am 16. Dezember 1942 immer konkretere
Formen an.

Mit dem sogenannten „Festsetzungserlass des Reichssicherheitshauptamtes" vom 7. Oktober
1939 war allen Zigeunern und Zigeunermischlingen, wie es hieß, verboten worden, ihren derzeitigen
Aufenthalts- oder Wohnort zu verlassen. Das erleichterte den Zugriff, als es im
Frühjahr 1940 auf Beschluss des Reichskriminalpolizeiamts zu einer ersten Deportation von
Sinti aus dem Reichsgebiet in das neugebildete Generalgouvernement Polen kam. Die Auswahl
der Betroffenen war den örtlichen Polizeibehörden überlassen, doch sollte sie nach Sippen
erfolgen. Bestimmte Personenkreise wie beispielsweise Wehrmachtsangehörige oder Ehepartner
von „Ariern" und „Arierinnen" sollten dabei noch ausgeschlossen bleiben.16

Bisher war weitgehend unbekannt, dass von der Deportation 1940 auch Freiburger Sinti
betroffen waren. Für zumindest zwei Fälle, darunter den der Maria M. und ihrer drei erwachsenen
Kinder, ist das aber inzwischen nachweisbar.17 Am Morgen des 16. Mai 1940 wurde die
Familie verhaftet. Das Mobiliar ihrer Wohnung unweit des Rathauses wurde im Auftrag der
Polizeidirektion beschlagnahmt und im Lager des Städtischen Wohlfahrtsamts eingelagert.18 Die
Familie kam zunächst ins Sammellager Hohenasperg, von wo aus dann kurz darauf die
Deportation nach Polen erfolgte. Nach einem Fluchtversuch wurden Maria M. und ihre Kinder
im Herbst 1942 wieder aufgegriffen und in ein mit Stacheldraht umzäuntes und von der SS
bewachtes Lager bei Lublin gesperrt. Dort musste Maria M. ohne Entlohnung schwere Arbeit

StadtAF, Einwohnermeldekartei bis 1945; Reinhold Hämmerle: Diskriminiert, deportiert, vernichtet - Der

Leidensweg der Familie Spindler, in: 60 Jahre Vergangen, verdrängt, vergessen? (wie Anm. 5); Wilhelm

Spindler: Wir standen immer mit einem Bein im Grab, in:,,...weggekommen" - Berichte und Zeugnisse von Sinti,

die die NS-Verfolgung überlebt haben, hg. von Daniel Strauss, Redaktion: Herbert Heuss, Berlin 2000, S. 168-

171; Staatsarchiv Freiburg (StAF), F 196/1 Akten des Landesamts für Wiedergutmachung.

Till Bastian: Sinti und Roma im Dritten Reich. Geschichte einer Verfolgung, München 2001, S. 38.

Ebd., S. 79.

Martin Feyen: „Wie die Juden"? Verfolgte „Zigeuner" zwischen Bürokratie und Symbolpolitik, in: Die Praxis
der Wiedergutmachung. Geschichte, Erfahrung und Wirkung in Deutschland und Israel, hg. von Norbert Frei,
Jose Brunner und Constantin Goschler (Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts 8/Schriftenreihe des
Minerva-Instituts für deutsche Geschichte der Universität Tel Aviv 28), Göttingen 2009, S. 328.
StAF, F 196/1 Nr. 2842 Akte des Landesamts für Wiedergutmachung. Zwar ist für viele Wiedergutmachungsakten die
personen- und datenschutzbedingte Benutzungssperre bereits abgelaufen, doch habe ich mich trotzdem für eine
Anonymisierung der Personen in diesem und den nachfolgenden Fällen entschlossen, weil in fast allen die von
den Nazis an Sinti und Roma verübte „Zwangssterilisierung" eine Rolle spielt, eine von den Betroffenen und
ihren Angehörigen als besonders schmachvoll und schmerzlich empfundene Untat. Sie sollte nicht verschwiegen,
aber auch nicht mit Personennamen verbunden hinausposaunt werden. Die hier angeführten Fälle sind real, doch
die dabei genannten Namen sind erfunden.

Schreiben des Wohlfahrtsamts an das Finanzamt vom 27.12.1948, wonach das Mobiliar und die Lagerbücher
beim großen Luftangriff auf Freiburg am 27.11.1944 verbrannten, StadtAF, D.So. Generalia 138.

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