http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2011/0137
Anton Weber.
Ein Künstlerleben mit vielfältigen Facetten
Von
Hans-Jürgen Tast
Einleitung
Am 30. Januar 1933 beruft in Berlin der 85-jährige Paul von Hindenburg den „Schriftsteller"
und „Regierungsrat im Braunschweigischen Staatsdienste, München" Adolf Hitler zum
Reichskanzler. Das Resultat dieser folgenschweren Entscheidung wird bald „Machtergreifung
" genannt werden. Am 27. Februar 1933 brennt das Reichstagsgebäude aus bis heute nicht
einwandfrei geklärten Gründen. Vorwand genug, politische Gegner massiv auszuschalten. Zum
Boykott jüdischer Geschäfte wird am 1. April 1933 aufgerufen. Sechs Monate später findet in
Nürnberg der „6. Reichsparteitag - Sieg des Glaubens" statt, und der Agitations-Spielfilm
„Hitlerjunge Quex. Ein Film vom Opfergeist der deutschen Jugend" wird in die Kinos
geschickt: Die Ufa sowohl wie alle an diesem Film Mitwirkenden haben sich nicht nur um die
Entwicklung der deutschen Filmkunst, sondern auch um die künstlerische Gestaltung nationalsozialistischen
Ideengutes ein großes Verdienst erworben.1 Am 2. August 1934 stirbt Reichspräsident
Hindenburg auf dem ostpreußischen Familienlandsitz Gut Neudeck. Eigentlich soll er
dort auch begraben werden, das NS-Regime organisiert jedoch eine theatralische Beisetzung im
Denkmal für die Schlacht bei Tannenberg.
In diesen unruhigen Monaten wird Karl Diebitsch (1899-1985), der zusammen mit einem
weiteren Grafiker, dem „SS-Sturmführer" Walter Heck, die schwarze „SS"-Uniform entworfen
hat, künstlerischer Berater im Stab des „Reichsführers SS" Heinrich Himmler (1900-1945).
Kurz darauf erhält er den Auftrag, für die „Reichspost" u.a. die nächsten „Nothilfe"-Brief-
marken zu gestalten, die dann am 4. Oktober 1935 als zehnteilige Zuschlagsserie erscheinen.
Wie die im selben Jahr herausgegebenen und ebenfalls von Karl Diebitsch konzipierten
Postwertzeichen „100 Jahre Deutsche Eisenbahn" erfolgt die Umsetzung als einfarbiger Stich
mit ähnlichem Layout. Die Illustrationen zeigen im Hochformat jeweils eine weibliche Person
in ländlich traditioneller Tracht als Brustbild mit entsprechender Kopfbedeckung, im Hintergrund
zart angedeutet eine dazugehörende Landschaftsansicht, manchmal mit passendem
Gebäude. Von den zehn Ausgaben „Deutsche Nothilfe 1935 - Volkstrachten" erreicht die rote
12+6 Pfennig-Marke für das Briefporto die höchste Auflage, insgesamt 5.939.688 Exemplare
werden davon gedruckt. Darauf zu sehen ist eine junge Schwarzwälderin im Profil mit dem
typischen Bollenhut auf dem Kopf. Als Vorlage hat Karl Diebitsch dafür - wie bei der gesamten
Postwertzeichenserie - eine Aufnahme des Fotografen Hans Retzlaff (1902-1965) benutzt.
Der ehemalige Bankangestellte Hans Retzlaff hat während der „Weltwirtschaftskrise" Ende
1929, dem ersten weltweiten Bankenzusammenbruch, als 27-Jähriger zu den vielen gehört, die
ihren Arbeitsplatz verlieren. Obwohl nur autodidaktisch vorgebildet, doch bereits einige
Male veröffentlicht, versucht er nun, sein Einkommen als Lichtbildner zu erwirtschaften.
Dabei setzt er mit Wohnsitz in Berlin-Charlottenburg inhaltlich das fort, auf was er sich als
1 Traumfabrik und Staatskonzern - die Geschichte der Ufa, in: www.filmportal.de (20.06.2011).
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