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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2011/0213
einen weiten Bogen um die NS-Geschichte gemacht. Denn er will doch niemanden belasten und „nicht in
den Geschichten herumwühlen". Dem Historiker, der seine Sache ernst nimmt, ist solche Ausflucht jedoch
nicht gestattet.

Wenn man richtig hinschaut, wenn man die vielen Dokumente sprechen lässt, die im Archiv des Dorfes
verwahrt werden oder sich - wohl behütet - im Privatbesitz der Einwohner befinden, wenn es gar gelingt,
die alt gewordenen Zeitzeugen zur ungeschönten Schilderung des selbst Erlebten zu bewegen, dann muss
die Geschichte einer Gemeinde in der NS-Zeit nicht mehr als „dunkle Zeit" verdrängt werden. In vorbildlicher
Weise gelungen ist dies bei der Darstellung der Geschichte des Schwarzwalddorfes Yach im Zweiten
Weltkrieg. Hier wird die NS-Zeit nicht ängstlich umschifft, sondern ausdrücklich zum Thema der lokalhistorischen
Forschung gemacht. Und siehe da: Die Informationsbeschaffung konnte gar in einem Klima des
dörflichen Konsenses stattfinden, und die schließlich zustande gekommene Ausstellung fand ebenso allgemeine
Zustimmung wie das hier anzuzeigende Buch.

Zu verdanken ist dies maßgeblich dem Historiker Professor Heiko Haumann, Universität Basel, wohnhaft
in dem Dorf Yach, das heute einen Teil der Stadt Elzach bildet, gelegen nordöstlich von Freiburg im
Breisgau. Haumann stellte dem Yacher „Heimat- und Landschaftspflegeverein" nicht nur seine professionellen
Kenntnisse zur Verfügung, sondern vermochte es auch, zwölf Mitglieder des Vereins zur Beteiligung
an der lokalgeschichtlichen Forschung zu motivieren.

Bei Kriegsbeginn 1939 hatte das Dorf Yach 749 Einwohner. Der überwiegende Teil arbeitete in der
Land- und Forstwirtschaft. Die meisten Yacher waren katholisch und wählten, so lange es noch etwas zu
wählen gab, die Zentrumspartei. 60 Männer aus Yach wurden im Krieg getötet oder blieben vermisst, zumeist
in Russland. 98 kehrten aus dem Krieg zurück, 33 gerieten in Kriegsgefangenschaft. Unter den
Hinterlassenschaften der Soldaten ragt das Tagebuch des Soldaten Alois Tränke heraus. Er erkannte: „Der
Krieg macht die Menschen zu Bestien."

Es gelang den Lokalgeschichtsforschern, Portraitfotos der gefallenen und vermissten Yacher Soldaten
zu ermitteln. Sie bilden einen besonders beeindruckenden Bestandteil des Buches. Ihr gewaltsamer Tod
war gewiss das einschneidendste Kriegserlebnis der Bevölkerung dieses Dorfes. Denn Kriegshandlungen
fanden in dem abgelegenen Schwarzwaldtal selbst nicht statt, was die Wahrnehmung der Bewohner naturgemäß
ebenso beeinflusste wie ihre Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg. Nur selten bekamen sie einen
Zipfel des Krieges zu sehen: So wurde im Sommer 1940 für kurze Zeit eine schlesische Sanitätskompanie
in der Yacher Schule einquartiert. Im November 1942 stürzte ein deutsches Kampfflugzeug vom Typ He
111 auf der Gemarkung von Yach ab, wobei sieben deutsche Soldaten zu Tode kamen. Bei Kriegsende
wurden noch einmal 48 Männer zum Volkssturm eingezogen. Etliche von ihnen verdrückten sich, desertierten
also, worüber heute endlich offen gesprochen werden kann.

Doch der Krieg war in Yach auf andere Weise stets präsent: Immer mehr junge Männer wurden zur
Wehrmacht eingezogen. Es fanden Sammlungen für die Soldaten an der Ostfront statt. Es wurden Luftschutzübungen
durchgeführt. 1942 mussten die Kirchenglocken abgegeben werden, weil das Metall für
Rüstungsgüter benötigt wurde. Gelegentlich kamen Frontsoldaten in die Schule, um von ihren Kriegserlebnissen
zu berichten und für den Dienst in der Wehrmacht zu werben. Der Lehrer, der ein überzeugter
Nazi war, diktierte den Schülern Hitler-Reden und nahm im Unterricht die Wehrmachtberichte durch. Die
Bauern stöhnten unter der Pflicht, Getreide, Kartoffeln, Gemüse, Obst, Milch, Butter, Eier, Fleisch und
Brennholz abzuliefern, ebenso Gespann- und Reitpferde für die Wehrmacht.

Selbstverständlich sei Yach „keine idyllische Insel im nationalsozialistischen Meer" gewesen, stellt
Heiko Haumann klar. Aber das Dorf war auch keine Hochburg der Nationalsozialisten. Denn seine Bevölkerung
blieb in starkem Maße von den Traditionen der katholischen Kirche geprägt. So existierten in
Yach durchaus zwei Parallelwelten. Hier der Nazi-Bürgermeister, der Ortsbauernführer, die Hitlerjugend
und die Anhänger der NSDAP, dort die Distanz haltenden Teile der Dorfgemeinschaft, der Dorfpfarrer
Oskar Stoffel, von dem man wusste, dass er ein entschiedener Gegner der Nationalsozialisten war, und die
ehemaligen Mitglieder der örtlichen katholischen Jugendorganisationen. Das Spannungsfeld wird sichtbar
in der Schilderung, dass der Pfarrer zur selben Stunde des Sonntagvormittags zum Gottesdienst rief, zu der
auch die HJ eine Versammlung anberaumt hatte. „Begegnete man gleichzeitig Pfarrer und Lehrer, musste
man sich entscheiden, ob man zuerst mit ,Heil Hitler' oder ,Gelobt sei Jesus Christus' grüßte." Die solidarische
Dorfgemeinschaft hatte für die Yacher Bevölkerung im Zweifelsfall den höheren Wert als der Gehorsam
gegenüber den lokalen NSDAP-Repräsentanten. Auch der Nazi-Bürgermeister passte sich dieser
Grundstimmung insoweit an, als er beispielsweise Denunziationen nicht weitermeldete.

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