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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
131.2012
Seite: 197
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2012/0199
revolution 1918 Verantwortung für Baden übernahm, den Übergang von der Monarchie zur Republik vollzog
und das Land aus dem revolutionären Chaos in ruhiges Fahrwasser steuerte. Alle Parteien außer der
konservativen DNVP waren in dem elfköpfigen Gremium vertreten. Die Führung lag bei der SPD, die den
Präsidenten und vier Minister stellte, zwei Ressorts wurden der links stehenden USPD anvertraut, je zwei
dem Zentrum und den Liberalen (DDP). In großer Eile traten die zwar gegensätzlichen, aber durchweg
erfahrenen, angesehenen und kooperationsbereiten Politiker zusammen. Nervenstärke brauchten sie in den
ersten Tagen, bis sie ihre Autorität gegenüber den Arbeiter- und Soldatenräten durchgesetzt hatten, Geduld
bis sich der Großherzog Ende November zur endgültigen Abdankung bereit fand, 13 Tage nachdem dessen
Neffe Max von Baden als letzter kaiserlicher Reichskanzler das Ende der Monarchie im Reich verkündet
hatte.

Umgehend formulierte die provisorische Regierung „die zunächst am dringendsten zu lösenden Aufgaben
": Sichern der Grundbedürfnisse und Erarbeiten eines Verfassungsentwurfs mit Punkten wie
Unentgeltlichkeit des Unterrichts in allen Schulen, Abschaffung der Klassenwahl in der Gemeindeordnung
. Es gab auch Töne, die den Einfluss der USPD verrieten: Enteignung der „übermäßig großen
landwirtschaftlichen und Waldbesitzungen der Standesherrschaften und Privater44. Über allem stand das
Ziel „Herstellung von Ruhe und Ordnung44. So schnell wie möglich wollten sie den verfassungslosen Zustand
beenden: Wahlen zur Nationalversammlung fanden am 5. Januar 1919 statt, die Verfassung wurde
am 21. März vom Plenum verabschiedet, am 13. April durch Volksabstimmung gebilligt und am 25. April
in Kraft gesetzt.

Am 1. April endete die Amtszeit der provisorischen Regierung. 68 Sitzungsprotokolle entstanden in ihrer
knapp fünfmonatigen Amtszeit. Sie liegen als Quellenedition vor, bearbeitet von Martin Furtwängler
(Referent für Neueste Geschichte bei der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg
), Seite für Seite mustergültig mit Anmerkungen versehen zu Personen, Fundstellen von Zitaten und
Zusammenhängen. In der 65-seitigen Einleitung erklärt er nicht nur die verfassungs- und verwaltungstechnische
Situation der vorläufigen Regierung und ihre Entscheidungen; bei aller Kürze gelingt es ihm, ein
lebendiges Bild jener turbulenten Monate zu zeichnen, und er machte sich die Mühe, aussagekräftige
Illustrationen aus Archiven und Museen in allen Teilen des Landes einzustellen. Die Protokolle sind in
erster Linie eine Handreichung für die Geschichtsforschung. Sie eignen sich aber auch zum Querlesen und
Stöbern, was anhand der Register zielgerichtet möglich ist.

Sehen wir noch einmal auf die Abfindung des Großherzogs, zu finden unter „Haus Baden, Vermögensauseinandersetzung44
. Sie wurde anfänglich in Ministers Dietrichs Außenministerium nach dessen eingangs
zitierten Vorgaben bearbeitet, schließlich aber vom Finanzministerium übernommen. Am 7. März
1919 präsentierte Josef Wirth den Gesetzentwurf, wonach dem Großherzog das Schloss in Baden-Baden,
das Sickingen-Palais in Freiburg, das Herrschaftshaus in Badenweiler zuzuweisen sei; außerdem war eine
namhafte Kapitalabfindung vorgesehen. Lange Diskussionen gab es um Kunstgegenstände, Gemälde und
Kupferstiche in der Kunsthalle, ein erstaunlich harmloses Thema für jene dramatischen Monate, in denen
immer wieder Unruhen aufflackerten, die Bevölkerung Umsturzversuche durch Radikale und den Einmarsch
der Alliierten befürchtete; letzteres mit gutem Grund, wie die Besetzung der Stadt Kehl mit Umgebung
und des Karlsruher Rheinhafens durch französische Truppen im Januar 1919 zeigt. Der Waffenstillstand
galt nur begrenzt und musste von Monat zu Monat erneuert werden.

Im Hinblick auf Kehl, dessen Besetzung sich verkehrstechnisch besonders negativ auswirkte, und die
neue Situation, dass der Rhein schon vor Abschluss des Friedensvertrags de facto Grenze wurde, stand
Hermann Dietrich als ehemaliger Oberbürgermeister von Kehl und jetzt Außenminister schon seit November
1918 in direkten Verhandlungen mit französischen Stellen. Darin ging es um die Kontrolle der
Rheinübergänge und die Lenkung der Flüchtlingsströme aus dem Elsass. Ein weiteres wichtiges Thema,
dessen sich Dietrich engagiert annahm, war die Energieversorgung. Konsens bestand über die Federführung
des Staates; die links stehenden Kabinettsmitglieder wollten aber Staatsregie bis zum Endverbraucher
, Dietrichs Votum lautete: „bis zum Ortsrand44, dann sollten die Kommunen übernehmen. Die provisorische
Regierung kalkulierte schon mit der Nutzung der Wasserkräfte des Rheins, nicht ahnend, dass diese
im Versailler Vertrag einseitig Frankreich zugesprochen werden sollten.

Martin Furtwängler macht ein Stück Geschichte zugänglich. Wer das Quellenwerk gelesen und befragt
hat, gewinnt den Eindruck, dass sich die provisorische Regierung wacker geschlagen hat und von der
Nationalversammlung im Januar 1919 zu Recht im Amt bestätigt wurde. Der Bearbeiter weist aber auch
den Weg zu kritischen Überlegungen: Dass die bürgerlichen Regierungsmitglieder von ihrer bildungsbe-

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