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Im Lager überleben?

Waren schon die Umstände der vergangenen Woche deprimierend, so wurden die Ankommenden
am Ziel ihrer nächtlichen Fahrt schließlich jeder Illusion beraubt. Ein beschwerlicher Weg
von fast 3 km musste zwischen der Bahnstation Bauschowitz und dem Ort Theresienstadt
zurückgelegt werden. Dann wurden die erschöpften Menschen mit rüdem Ton einer entwürdigenden
Aufnahmeprozedur unterworfen und ihnen eine Unterkunft zugewiesen.45 Der Anblick
der vielen Tausend Bewohner und die Zwangseinquartierung in die völlig ungenügenden
Räume der einst für militärische Zwecke ausgerichteten Festung waren die ersten Eindrücke
von der neuen „Altersresidenz". Sie widersprachen auf groteske Weise dem Bild, das wenige
Tage zuvor bei Vertragsabschluss vorgegaukelt worden war.46 Aber eine Rücksichtnahme auf
menschliche Belange lag den Machthabern fern; die Lebensverhältnisse waren bewusst so
beschaffen, dass für die betagten Insassen nur minimale Überlebenschancen bestanden. Denn:
War man alters- oder krankheitsbedingt verhindert, durch Arbeit höhere Verpflegungszuteilungen
zu erhalten, litt man unter einer ständigen Unterernährung. Sie führte in Verbindung mit
der psychischen und physischen Belastung angesichts der unbeschreiblichen sanitären und
hygienischen Bedingungen zu einer hohen Krankheitsrate. Diese stieg mit der alle Grenzen
überschreitenden katastrophalen Auslastung des Lagers ab August 1942 drastisch an und konnte
wegen der außerordentlich mangelhaften medizinischen Versorgung nicht vermindert werden
. Für die vielen alten Menschen waren die „Lebensbedingungen [...] zu Sterbensbedingungen
" geworden 47 Ihre Lebensenergie, durch jahrelange Belastungen geschwächt, war den
neuen nie gekannten Herausforderungen nicht mehr gewachsen.

Wie erlebten die Freiburger Deportierten diese Situation? Für vier Personen wurde der Umstand
, dass sie eine ihnen zugeteilte Arbeit ausführen konnten, zur lebensrettenden Chance.
Adolf Besag, 65 Jahre alt: Ich wurde im Lager durch einen Ingenieur als Desinfektor ausgebildet
, habe Matratzen, Bettrollen, Gepäck, Kranke und Tote treppauf und treppab getragen

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und habe mich bei einer Arbeitszeit von täglich 10-12 Stunden schließlich kaputt geschafft.
Martha Rosenberger, noch jung mit 51 Jahren, leistete zuerst Mithilfe in der Krankenpflege,
um dann in die sogenannte „Raumwirtschaft" überzuwechseln; das bedeutete eine Tätigkeit
bei der Platzverteilung zwischen Neuankommenden und soeben Deportierten und Verstorbenen
- Arbeiten, die oft morgens 4 oder 5 Uhr anfielen. Dazu gehörten auch Krankheitsmeldungen
. Ihr Ehemann Nathan Rosenberger, 65, war eigenen Angaben zufolge als „Betriebsleiter
der Schuhmacherwerkstätte" eingesetzt, einem Handwerk, welches er gelernt und viele
Jahre in Freiburg ausgeübt hatte. Rita Rosenberger hatte das Glück, in der Poststelle beschäftigt
zu werden. Für alle galt, dass ihre Tätigkeit innerhalb der Lagerverwaltung die ständig
drohende Gefahr, deportiert zu werden, wenn nicht ausschloss, so doch ein wenig abschwächen
konnte 49

Studies 5), München 2008, S. 445-458. Ebenso: Der Killesberg unterm Hakenkreuz. Eine Dokumentation
der Geschichtswerkstatt Stuttgart Nord, hg. von Wolfgang Härder und Josef Klegraf, Stuttgart 2012.
Details zur Aufnahmeprozedur in Marc Oprach: Nationalsozialistische Judenpolitik im Protektorat Böhmen
und Mähren. Entscheidungsabläufe und Radikalisierung (Schriftenreihe Studien zur Zeitgeschichte
54), Hamburg 2006, S. 129f.

Im September 1942 erreichte die Überfüllung des Lagers mit fast 60.000 Gefangenen ihren Höhepunkt,
Theresienstädter Gedenkbuch. Die Opfer der Judentransporte aus Deutschland nach Theresienstadt 1942-
1945, hg. vom Institut Theresienstädter Initiative, Prag/Berlin 2000, S. 22f.

Hans Günther Adler: Der verwaltete Mensch. Studien zur Deportation der Juden aus Deutschland,
Tübingen 1974. Zitat aus Oprach (wie Anm. 45), S. 132.
Wie Anm. 3 (Adolf Besag).

Gespräch von Rita Froehlich, geb. Rosenberger, mit dem Autor am 2. Oktober und 23. November 2012.

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