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bescheidenes Mittel des Austausches heimlichster Gefühle und Gedanken zu haben.50 Auch mit
der Einschränkung, dass mit diesen zehn Briefen nur ein Bruchteil der Mengele-Korrespondenz
überliefert ist, die Briefe Irene Mengeies darüber hinaus vollständig fehlen und also nur die eine
Seite dieses Briefdialogs bekannt ist: Die bloße Tatsache des häufigen Schreibens und Empfangens
solcher Briefe scheint dem getrennt voneinander lebenden Ehepaar Mengele ausreichend,
jedenfalls wichtiger gewesen zu sein als ein inhaltlich tiefer, existenzieller Austausch. Die oberflächlich
und redundant bleibenden Brieftexte beschränken sich oft auf die kindlich-naive Paarrhetorik
des Banalen. „Es ist gerade diese Redundanz, die der Herstellung von Einvernehmen
dient." Was die Herausgeber in der jüngst veröffentlichten Privatkorrespondenz des Ehepaares
Heinrich und Marga Himmler erkennen, gilt ähnlich auch für die Feldpostbriefe Mengeies.51 Bereits
die gewählten Koseworte, die fast ausnahmslos die Namen in Anrede, Brieftext und Brief-
schluss ersetzen, sind für diese Korrespondenz und womöglich für Mengeies Ehe überhaupt
kennzeichnend. Sie drängen einen Vergleich mit den regressiven Sprachritualen der Himmlers
auf. Die Anreden entwickeln sich dort von Liebste, allerliebste kleine Frau, über liebes geliebtes
Bengele bis Meine liebe Mami (!) für Marga Himmler und deren Mein liebes Liebchen bis Mein
lieber Guter für Heinrich Himmler. Auch für Josef Mengele kam seine Ehefrau sprachlich nur im
Diminutiv vor: manchmal als sein liebes Fraule, liebes Schlingele oder kleines Dummerle, fast
immer aber als sein allerliebstes / kleines Butzele oder liebes Butzel; das schwäbische Dialektwort
zur Bezeichnung eines Kleinkinds, das er später auch für das tatsächliche Butzele Rolf Mengele
verwendete, der am 33. Geburtstag seines Vaters, am 16. März 1944 in Freiburg zur Welt
kam. Josef Mengele selbst unterzeichnete seine Briefe zwischen Anfang 1942 und Ende 1944 in
geringer Abwandlung entsprechend mit dem stets gleichen Dein Butz - gelegentlich überboten in
einem Crescendo aus Deinem, nur Deinem, ganz Deinem Butz; und dies scheinbar unabhängig
davon, wo und in welcher Situation an der Ostfront oder in Auschwitz sie geschrieben wurden.
Mit dieser sprachlichen Regression korrespondiert inhaltlich die weitgehende Ausblendung der
Wirklichkeit(en): Der von SS-Einheiten der Division „Wiking" in Russland verübten Kriegsverbrechen
ebenso wie der von Mengele selbst zu verantwortenden, im Wortsinn - unsäglichen -
Verbrechen an seiner neuen „Dienststelle" im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-
Birkenau. Selbst wenn er seiner Frau beiläufig einmal von den tatsächlichen Kampfbedingungen
an der Front berichtet und die Kälte des russischen Winters 1941/42 ebenso erwähnt52 wie die
unerwartet hohen eigenen Verluste der SS-Division, den unterschätzten russischen Gegner, dessen
tägliche Angriffe aus der Luft oder die Überfälle in einem Waldgelände, einem Paradies
für Partisanen, das täglich Opfer fordere, wenn er erstaunlicherweise einräumt, man sei gegen
diese Art Kriegsführung machtlos und schließlich auf die von ihm zu behandelnden Verletzungen
und die unter den SS-Soldaten grassierenden Krankheiten eingeht - viele hochfieberhafte
Infekte und viele Furunkel und solches Zeug53 - immer sucht er im Anschluss zu relativieren
und zu beschwichtigen - ihm persönlich gehe es gut. Die Verpflegung, die Ausrüstung, der von
Irene Mengele zugeschickte Pelzmantel seien ausgezeichnet, die eigene Gesundheit im Übrigen
robust: Das wichtigste dabei ist, du erfährst, daß es mir gut geht und Also keine Bange, wir erfrieren
schon nicht. Mir geht es gut und wir haben ein erträgliches Lebend Stattdessen schreibt
Mengele lieber im Konjunktiv ins ferne Freiburg: von möglichen Begegnungen und möglichen
Erlebnissen in der Zukunft, stellt sich den nächsten Fronturlaub in Freiburg vor, von dem er doch

Anhang, Brief 8 (3.12.1944).

Katrin Himmler/Michael Wildt: Himmler privat. Briefe eines Massenmörders, München/Zürich 2014.
Anhang, Brief 1 (4.1.1942), Anm. 116 und Brief 3 (18.2.1942).
Anhang, Brief 5 (2.9.1942).

Anhang, Brief 3 (18.2.1942) und Brief 4 (20.2.1942).

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