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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2014/0167
annehmen muss, dass es ihn in absehbarer Zeit nicht geben wird, den er deshalb auch als seine
Utopie bezeichnet. Er beschwört Vergangenes oder vertröstet seine Frau ungelenk auf später:
Ja und was macht denn so das Alleinsein? [...] Soll ich eigentlich mit Dir ein bißchen Mitleid
haben? Aber es geht ja so vielen deutschen Frauen so! Zudem weiß ich, daß Du tapfer bist und
alles geduldig erträgst. Einmal werd'ich schon wieder kommen und dann müssen wir eben alles
nachholen. Mengeies Brief vom 18. Februar 1942 beginnt mit der banalisierenden Feststellung,
dass sich an der Front wenig Berichtenswertes (!) ereigne. Das gebe ihm Gelegenheit, sich mit
Gedanken an zu Hause zu beschäftigen. Mengeies Erinnerung an Oberstdorf, wo das Paar 1939
geheiratet hatte, lässt ihn wieder in Konjunktive abschweifen. Mit bieder apostrophierten Andeutungen
kommt er dabei unverhohlen auch auf seine (unerfüllten) sexuellen Bedürfnisse zu sprechen
: Heute scheint übrigens die Sonne und ich könnte mir vorstellen, daß es jetzt in Oberstdorf
oder sonst wo im Gebirge sehr schön ist. Leider müßte man diesmal ohne Ski zurechtkommen.
Aber ich war auch schon 2 x (1924 u. 1929) ohne Skier in O. Es war auch sehr nett [...] Ich war
damals auch noch ein passionierter Schlittschuhläufer. Du läufst doch auch. Vielleicht werden
wir diesen Sport wieder in unser Winterprogramm aufnehmen?! Später! 1943? 1944? 1945? Wer
weiß wann! Nun[,] wenn [wir] jetzt zusammen in O. sein könnten, würden wir auch ohne Ski sehr
glücklich sein. Ja? Ja, was täten wir denn dann? Nun: Lange „Schlafen", Spazierengehen, gut
Mittag essen, wieder „Schlafen", Kaffee trinken im Luitpold, Bauer, Bergkristall, usw., Spazierengehen
, gut Abend essen, ins Bauerntheater oder Kino gehen und wieder „Schlafen ". Ja? Bist
du damit einverstanden? Nun wir stellen uns halt vor, es wäre so.55

Wenig deutet in diesen Frontbriefen aus Russland darauf hin, dass sich hier ein im Sinne
des Nationalsozialismus ideologisch fanatisierter SS-Obersturmführer im „Vernichtungskrieg"
gegen den „jüdisch-bolschewistischen Weltfeind" befindet oder sich in diesem Sinne versteht.
Noch sparte Mengele seine SS-ideologischen Überzeugungen und „Wahrheiten" gegenüber
seiner Frau weitestgehend aus. Konnte er ihr Einverständnis stillschweigend voraussetzen oder
wollte er ihr den Uberzeugungstäter, der er nachweislich war, nicht zu erkennen geben? Nach
außen änderte sich seit seiner Tätigkeit am Frankfurter Institut für Erbbiologie und Rassenhygiene
unter Verschuer, die sein Selbstverständnis prägte, zunächst ohnehin wenig. Im Gegensatz zu
den späteren Briefen aus Auschwitz, in denen er mit SS-Hstuf. (SS-Hauptsturmführer) im Absenderfeld
zeichnete, wählte er für seine Feldpostbriefe von der Ostfront 1942 das unverfängliche
Assistenzarzt beziehungsweise Oberarzt vor seinem Namen und der Feldpostnummer. Das in
seinen Studenten- und Institutszeiten einmal zurechtgemachte Selbstbildnis als Arzt und Rasse-
hygieniker (!) überstand den „Weltanschauungskrieg" gegen Russland seltsam unbeschadet: Da
mir meine Fachbücher [...] verloren gingen, wäre ich Dir sehr dankbar, wenn Du mir das „Diagnostische
und Therapeutische Vademecum " antiquarisch besorgen könntest. Man soll hier alle
Fachrichtungen beherrschen und das ist für einen Rassehygieniker etwas zu viel. Wenn man so
ein kleines Nachschlagewerk hat, kann man sich doch wenigstens über besondere Erkrankungen
schnell informieren.56

Auch scheint es die Kriegswirklichkeit diesem SS-Offizier, der sein Abitur zwölf Jahre zuvor
am humanistischen Gymnasium von Günzburg gemacht hatte, an der ukrainischen und russischen
Front 1942 erstaunlicherweise erlaubt zu haben, weiter einem „humanistischen" Restbildungsprogramm
nachzugehen und Schöne Literatur zu goutieren, nicht ohne seiner Frau das
Unzureichende des Schöngeistigen und Ästhetischen, dieser anderen Welt des Nur-Schönen aufzuzeigen
: Gestern Abend habe ich Stifters „ Waldsteig" in einem Zuge ausgelesen. Beim Licht
einer Autobatterie geht das sehr gut. Welch eine andere Welt. So zart, lieblich, anmutig, schön,

Anhang, Brief 3 ( 18.2.1942).
Anhang, Brief 2 (17.1.1942).

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