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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2014/0172
seiner „Forschungen" opferte.77 Gab es, so ist zu fragen, neben dem SS-Lagerarzt und außerhalb
des Vernichtungssystems von Auschwitz-Birkenau überhaupt eine „Privatperson", einen
Ehemann und Vater, den menschlichen Menschen Josef Mengele? Die Analyse der Feldpostbriefe
erbrachte den Befund, dass sich Mengeies Privatleben seit 1941 fast ausschließlich auf
seine Korrespondenz mit Irene Mengele in Freiburg beschränkte, auf Briefe, die hinter rhetorischer
Oberflächlichkeit mehr verbargen und ausblendeten als zur Sprache brachten. Der Primat
des „Dienstes" gab auch in Mengeies Auschwitz-Jahren 1943 bis 1945 die strengen Rahmenbedingungen
des Privaten vor. Irene und Josef Mengele setzten dabei ihre in den Jahren
1941 bis 1943 erprobte Briefkorrespondenz und Besuchsrhythmik fort; mit dem Unterschied
allerdings, dass jetzt auch Irene Mengele ihren Mann besuchen konnte und diese Möglichkeit
auch nutzte. Zwischen Mai 1943 und Januar 1945 kam es - wie im Folgenden dargestellt - zu
zwei kürzeren Urlaubsbesuchen Josef Mengeies in Freiburg, denen zwei jeweils mehrwöchige
Aufenthalte Irene Mengeies in Auschwitz gegenüberstanden. Die Lagerkommandantur von
Auschwitz-Birkenau ermöglichte diesbezüglich den Ehefrauen des SS-Lagerpersonals tage-
bis wochenlange, mitunter bis zu zwei Monate dauernde Aufenthalte, bei denen sie mit offizieller
Aufenthaltsgenehmigung und eigens ausgestellten Lagerausweisen in der am Rand des
Stammlagers (Auschwitz I) für einige Tausend SS-Männer und deren Familien eingerichteten
SS-Siedlung wohnten. Es gehört zu den wenig bekannten Aspekten des Systems von Auschwitz,
dass sogar dauerhafte „Zuzüge" von Ehefrauen und Kindern in diese SS-Siedlung möglich
waren und in zunehmendem Maße von der Kommandantur gewünscht und genehmigt wurden;
Impfungen der Säuglinge, „Kinderturnstunden" und „Familiensprechstunden" bei den SS-Ärzten
inklusive. Diese besuchsweisen oder dauerhaften Aufenthalte von Familienangehörigen des
SS-Lagerpersonals dokumentieren die fast vollständig überlieferten Kommandanturbefehle,
die insgesamt ein sehr präzises Bild von der bürokratischen Monstrosität der Lagerverwaltung
in Auschwitz vermitteln. Die Lagerleitung war sich der zu „dienstlicher" Verschwiegenheit
schriftlich verpflichteten SS-Angehörigen offenbar ebenso sicher wie sie von einer „seelischen
" Unterstützung im „schweren Dienst" durch deren Ehefrauen und andere Familienmitglieder
auszugehen schien.78 Unklar bleibt, warum Irene Mengeies Auschwitz-Besuche 1943
und 1944 sich nicht in den Kommandanturbefehlen verzeichnet finden. Ausgerechnet Josef
Mengele taucht in den Hunderten von Lager-Dokumenten namentlich nur ein einziges Mal auf,
und zwar im schon erwähnten Kommandanturbefehl 26/43 vom 24. Juni 1943: „Dr. Mengele
hat in seinem Motorradunfall im Lagerbereich [21.Juni 1943] sein EK I verloren. Der ehrliche
Finder wird gebeten, dasselbe bei der Kommandantur abzugeben."79 Nur drei Wochen nach
seinem „Dienstantritt" fiel der neue SS-Lagerarzt Mengele - zumindest dienstlich - durch eine
bei diesem Unfall erlittene Hüftfraktur für mehrere Wochen aus. Als Ehemann erfüllte er seine
„Pflichten" offenbar, denn just in diese Zeit fiel der Besuch seiner aus Freiburg angereisten
Frau Irene. Zwar lässt sich mit Dokumenten nicht belegen, wann dieser erste Auschwitz-Besuch
genau stattgefunden hat und wie lange er dauerte, doch unter Voraussetzung des bekannten
Geburtsdatums Rolf Mengeies, der am 16. März 1944 in Freiburg zur Welt kam, müssen

Vgl. Zofka (wie Anm. 67), S. 259f.

Vgl. Frei (wie Anm. 39). Lt. Zeugenaussage des zur Fahrbereitschaft in Auschwitz gehörenden Günzburger
SS-Unterscharführers Richard Böck (1906-1973) im Frankfurter Auschwitzprozess wurde Josef Mengele
auch einmal von seinem Vater in Auschwitz besucht: Und sein Vater [Karl Mengele sen.] war einmal drei
Wochen droben, in Auschwitz, und hat ihn besucht. Der verstorbene Mengele. Vgl. Tonbandmitschnitt des 1.
Frankfurter Auschwitz-Prozesses, hg. vom Fritz Bauer Institut, Audiofiles und Transkriptionen unter: www.
auschwitz-prozess.de, hier: Aussage von Richard Böck, 3.8.1964.
Vgl. Frei (wie Anm. 39), S. 297.

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