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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2014/0176
zur besonderen Verfügung Mengeies.94 Am 2. August 1944 erfolgte schließlich die Auflösung des
„Zigeuner-Familienlagers" (B He), dessen verantwortlicher Lagerarzt Josef Mengele seit seinem
Dienstantritt in Auschwitz im Mai 1943 gewesen war. Hans Münch zufolge habe Mengele, der
anfangs zu den „Zigeunern" ein noch „deutlich positiveres Verhältnis" (!) als zu den restlichen
Lagerinsassen gehabt hätte, die Liquidierung des Lagers „mit Nachdruck" befürwortet. Nach
Mengeies Selektion wurden an einem Tag schließlich 2.897 Frauen, Männer und Kinder zu den
Gaskammern gefahren und dort ermordet.95

Im Kontext dieser Vernichtungsaktionen trägt der zweite, offiziell genehmigte Aufenthalt
Irene Mengeies in Auschwitz geradezu bizarre Züge. Die Reise und ihre Eindrücke hielt die
27-Jährige in ihrem damaligen Tagebuch fest;96 begreiflicher wird dadurch nichts. Die junge
Mutter ließ den gerade fünf Monate alten Sohn Rolf bei ihren Eltern in der Sonnhalde oder bei
den Schwiegereltern in Günzburg zurück und fuhr am 8. August 1944 von Freiburg über Kato-
wice zu ihrem Gatten nach Auschwitz, wo sie am 10. August 1944 eintraf und wieder, wie schon
ein gutes Jahr zuvor, in der SS-Siedlung an der Peripherie des Stammlagers wohnte. Im Tagebuch
beschrieb sie diese zwar als „langweilige, trostlose Gegend mit primitiven Unterkünften", doch
müssen die ersten drei Wochen mit Josef „idyllisch" und komfortabel gewesen sein, wozu auch
die eigens für das Paar abgestellten Bediensteten - „Zeugen Jehovas in gestreifter Gefängniskluft
" - und Ausflüge in die Umgebung beitrugen. Ihre gemeinsamen Tage verbrachten Irene
und Josef Mengele - nur schwer vorstellbar - mit Baden im nahen „Erholungsgebiet" des Flusses
Sola, wo Irene auch Brombeeren sammelte, aus denen sie in der SS-Unterkunft Marmelade zubereitete
.97 Um sich ein Bild des Unvorstellbaren zu machen: Zwischen Juni und Dezember 1944
entstanden 116 Fotografien, die im Jahr 2006 in den USA als „Höcker-Album" bekannt wurden.
Es handelt sich um eine zeitgenössische Fotosammlung für den damaligen Adjutanten des Lagerkommandanten
SS-Sturmbannführer Richard Baer, SS-Obersturmführer Karl-Friedrich Höcker,
der am 25. Mai 1944 seinen Dienst in Auschwitz angetreten hatte. Darunter befinden sich insgesamt
acht Fotografien, die Josef Mengele in der Zeit des Besuchs seiner Frau zusammen mit
dem hauptverantwortlichen SS-Führungspersonal von Auschwitz - Rudolf Höß, Richard Baer,
Josef Kramer u.a. - bei Freizeitaktivitäten an der Sola-Hütte im August/September 1944 zeigen
(Abb. 5). Das Höcker-Album enthält neben einer weiteren Einzelfotografie, aufgenommen auf
dem Lagergelände im Jahr 1943, die einzigen bislang bekannten Aufnahmen von Josef Mengele
aus seiner Zeit als Lagerarzt in Auschwitz.98

Dem Tagebuch Irene Mengeies ist zu entnehmen, dass sie von den Selektionen durchaus
wusste und sie die ankommenden Züge in den Wochen ihres Aufenthalts natürlich wahrnahm,
doch Näheres, vor allem die „dienstlichen" Belange ihres Mannes Betreffendes, vermeintlich
nicht erfahren habe. In Auschwitz habe sie lediglich ein großes Lager für politische Häftlinge
und Kriegsgefangene gesehen. Im Tagebuch hielt sie das für sie Augenscheinliche fest: dass das
mit Stacheldraht eingezäunte Gebiet von vielen Wachen umgeben war und dass es ohne Lagerausweise
unmöglich gewesen sei, sich innerhalb und zwischen den Postenketten zu bewegen.

94 Vgl. ebd., S. 836 und Kubica (wie Anm. 33), S. 437ff.

95 Zit. nach Zofka (wie Anm. 67), S. 256. Vgl. Czech (wie Anm. 69), S. 838.

Posner/Ware (wie Anm. 31), S. 78f., zitieren aus diesem Tagebuch, wobei fraglich bleibt, ob sie es für
ihre Monographie selbst haben einsehen können oder auf Irene Mengeies „schriftlichen Aussage" hierüber
im September 1985 rekurrieren, die sie den Autoren zukommen ließ. Über den Verbleib dieses
Tagebuchs ist nichts bekannt.
Zit. nach ebd.

United States Holocaust Memorial Museum in Washington, D.C.; vgl. die Einzelfotografie von 1943, in:
Byhan (wie Anm. 47), Nr. 27 (1985).

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