Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2014/0180
Dass ich Dich sehr lieb hob und mich jetzt schon auf das noch „ imaginäre " Beisammensein
freue, weißt du. Liebes Kleines, nimm viele heiße Küssle von Deinem Butz.no

Die in Abständen weniger Tage im Dezember 1944 an Irene geschriebenen Briefe forderten
diese immer drängender zu einer Stellungnahme und raschen Entscheidung auf. Um den Druck
auf sie zu erhöhen, ließ er sie - nun erstmals auch namentlich mit Liebe Irene angeredet - wissen
, dass er in der SS-Siedlung bereits erste Vorkehrungen getroffen habe: Ich bin schon fest am
Einrichten der Wohnung. Die Nachricht eilt auch, weil ich für Rolf ein Bettchen kaufen muss (Bei
DAW [Deutsche Ausrüstungswerkep.111 Den inzwischen erfolgten Luftangriff auf Freiburg nahm
Mengele am 3. Dezember zum Anlass, Irenes Sorgen zu beschwichtigen und - in eklatanter
Fehldeutung der tatsächlichen militärischen Lage - sein offenbar unerschütterliches Vertrauen
in die neuen Waffen und den „Endsieg" zum Ausdruck zu bringen: Wie mag es den guten Eltern
gehen? Nun sind schon Kämpfe in Schlettstadt! Aber das ist nicht so schlimm. Man wird eben auf
den Rhein zurückgehen müssen, wie 1939. Die neuen Waffen sind nun schon im Frontkampf wohl
eingesetzt und sie werden ihre Wirkung schon haben. Aber wir müssen vielerlei Vertrauen in unsere
eigene Kraft haben und dann werden wir es schon meistern.112 Unbegreiflicher noch als der
von Mengele vorgeschlagene finale Familien-Umzug selbst ist die Tatsache, dass Irene Mengele
ihren und Rolfs Zuzug nach Auschwitz für Ende 1944 tatsächlich erwog: Deine Wünsche habe
ich bereits bei unserem Unterkunftsmann [Martin] (Wilks) angemeldet. Sie werden wohl alle befriedigt
werden können. Schade, daß Du nicht schon rascher Dich entschieden hast. Eigentlich
wolltest Du schon da sein.113

Dabei sollte es allerdings bleiben: Am 17. Januar 1945 liquidierte Lagerarzt SS-Hauptsturm-
fuhrer Dr. Josef Mengele seine Versuchsstation im Lager B Ilf, packte sein aus seinen Versuchsreihen
an Zwillingen, Zwergwüchsigen und Krüppeln gewonnenes „Material" hastig zusammen
und verließ Auschwitz-Birkenau fluchtartig vor der Roten Armee in Richtung Westen. Seine
Frau sollte er erst wieder bei geheimen Treffen in Autenried und in der Nähe von Rosenheim
im Sommer 1946 sehen, wo Mengele unter falschem Namen und als Hilfsarbeiter bis zu seiner
Flucht nach Argentinien 1949 bei einem Landwirt in Mangolding untergetaucht war. Freiburg,
wohin Irene Mengele, zeitgleich mit Beginn der Flucht ihres Mannes, am 20. April 1949 von
Autenried zurückging, besuchte der bis zu seinem Tod in Brasilien 1979 flüchtige und weltweit
per Haftbefehl gesuchte Josef Mengele nicht mehr. Irene Mengele, die sich ein Leben an der Seite
eines Flüchtigen in Südamerika offenbar nicht vorstellen konnte, hatte entschieden, sich von
Josef Mengele zu trennen. Am 1. Mai 1949 meldete sie sich mit dem nun fünfjährigen Rolf in der
Franz-Liszt-Str. 1 in Freiburg an; nur wenig entfernt von der letzten gemeinsamen Wohnadresse
der Familie in der Sonnhalde 81.

Die abschließend zu rekapitulierende und skizzierte Täter-Typologie Josef Mengeies darf
weder den Anschein der Dämonisierung noch Banalisierung erwecken. Hannah Arendts über
den SS-Täter Adolf Eichmann geprägtes Wort von der „Banalität des Bösen",114 das von Beginn
an umstritten und vielfachen Missverständnissen ausgesetzt war, gab die maßgebliche Terminologie
vor. Arendts Analyse des Eichmann-Prozesses aus dem Jahr 1964 formulierte die für viele
Angehörige und Hinterbliebene von Holocaustopfern brüskierende Beobachtung, ein „Phänomen
, das zu übersehen unmöglich war": Eichmann sei als Mensch und Täter von einer geradezu
„erschreckenden Normalität" gewesen. „Außer einer ganz ungewöhnlichen Beflissenheit, alles

Anhang, Brief 7 (1.12.1944).
Anhang, Brief 9 (6.12.1944).
Anhang, Brief 8 (3.12.1944).
Anhang, Brief 10 (14.12.1944).

Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München 2013.

178


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2014/0180