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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2015/0092
Wie das Beispiel des Reservelazaretts Realgymnasium zeigt, waren gerade die größeren
Freiburger Lazarette in medizinischer und infrastruktureller Hinsicht sehr gut ausgerüstet. Sie
konnten deshalb eine hohe Qualität der Verwundetenversorgung garantieren. Das bedeutete
jedoch keineswegs, dass die Versorgung in den örtlichen Lazaretten keine Mängel aufwies
und ohne Probleme vonstattenging. In medizinischer Hinsicht stellten vor allem die - mit dem
Ubergang vom Bewegungs- zum Stellungskrieg im Herbst 1914 stark zunehmenden - Artillerieverletzungen
die Lazarette vor große Herausforderungen, da sie nicht so schnell heilten
wie andere Arten von Verletzungen und eine sorgfältige Behandlung erforderten, bei der viele
Fehler gemacht werden konnten.28 Eng damit verbunden war das unerwartet häufige Auftreten
des Wundstarrkrampfes. Er war von den Ärzten kaum in den Griff zu bekommen und forderte
zahlreiche Todesopfer. Entsprechend resigniert stellte der Freiburger Lazarettarzt Gerhard Hotz
in einem Fachaufsatz aus dem Jahre 1915 über die medizinischen Erfahrungen mit der Verwundetenversorgung
in den Heimatlazaretten fest: „Gegen Tetanus erwiesen sich eigentlich alle
Maßnahmen als machtlos."29

Noch größere Defizite wies die Behandlung psychischer Erkrankungen auf, die oftmals
durch Granateinschläge in unmittelbarer Nähe oder Verschüttungen hervorgerufen wurden.
Welche schlimmen Leiden solche Patienten durchmachten, beschreibt Charlotte Herder in ihrem
Kriegstagebuch eindrücklich am Beispiel eines Verwundeten, der schon Anfang September
1914 in das von ihr betreute Herder-Lazarett eingeliefert worden war: Ich sah einen, der kaum
liegen und den Kopf, wie von Qual gepresst, nicht in den Kissen lassen konnte, er war bis an den
Hals zugedeckt. Und ich dachte schaudernd: Was mag von dem noch übrig sein? Das schrecklichste
, wütendste, qualvollste Leiden stand ihm auf der Stirn geschrieben. Ich fragte den Wärter
, wo er verwundet sei, und hörte, daß er - gar nicht verwundet, bloß vor Schrecken über eine
krepierende Granate umgefallen sei: also ein Nervenschock, eine Psychose und infolgedessen
ein unverdünnter Extrakt von Qual und Leiden, wie er fast nicht zu ertragen ist und der an die
Leidensmöglichkeiten der Kreatur tausendmal größere Anforderungen stellt als die schwerste,
rein körperliche Verletzung. [...] Der tat mir leid?0 Doch war diese Art von Empathie und klarer
Ursachenbestimmung, wie sie aus den Zeilen von Charlotte Herder spricht, bei der Bewertung
psychischer Erkrankungen keineswegs die Regel. Vielmehr wurden diese in ihrer Bedeutung
oftmals verkannt und fehldiagnostiziert. So stellte ein Bericht an das Sanitätsamt des XIV. Armeekorps
vom 28. April 1915 über eine Inspektionsreise in die südbadischen Lazarette fest,
dass die psychogenen Erkrankungen infolge Verschüttung und Granatexplosion häufig als organische
Störungen, insbesondere als Tetanus, Rückenmarkerschütterungen, Tuberkulose, Gelenkerkrankungen
oder Herzfehler behandelt worden seien. Der Inspekteur forderte deshalb die
gesonderte Sammlung und Behandlung sogenannter „innerer Kranker" in Speziallazaretten.31
Dies war vermutlich der Grund, warum das Vereinslazarett im Evangelischen Stift im November
1915 in eine Beobachtungsstation für Nervenkranke umgewandelt wurde - was für den
allgemeinen Befund steht, dass sich mit fortschreitender Dauer des Krieges nach anfänglichen
Fehlsteuerungen und -Verteilungen eine zunehmende Spezialisierung der Heimatlazarette herauskristallisierte
.32

28 Vgl. Hotz (wie Anm. 5), S. 5f.

29 Ebd., S. 7.

Charlotte Herder: Mein Kriegstagebuch 1914-1918, Freiburg 1955, S. 23 (Eintrag vom 2.9.1914).

31 Kurzer Bericht des Sanitätsamts 14, Karlsruhe, über die Inspektionsreise in Südbaden vom 10. bis 20.
April 1915, 28.4.1915, GLA, 456 F 113, Nr. 88/1.

32 Vgl. hierzu Clodius (wie Anm. 1), S. 82-88.

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