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ging sie hinauf, ihre Sachen zu holen, freundlich nahm sie von allen Abschied, und ich konnte
immer nur dabeistehen, von Rührung und Bewunderung über diese Selbstverleugnung selbst zu
Tränen bewegt. Wer macht ihr das nach? Die Erinnerung an diese stille Größe einer einfachen
Franziskanerin wird mir eine Lehre fürs Leben bleiben™

Die Tätigkeit vieler Frauen in den Lazaretten war also alles andere als ein Katalysator für
die gesellschaftlich-politische Emanzipation der Frau.79 Vielmehr waren die Lazarette und die
privaten Hilfsorganisationen, die zur Verwundetenpflege herangezogen wurden, zentrale Instanzen
der weiblichen sozialen und sexuellen Disziplinierung.80 So erfahren wir aus dem Buch
von Werthmann sowie aus den Tagebucheinträgen von Anni Aschoff, die als Hilfsschwester
im Reservelazarett Realgymnasium tätig war, von der streng hierarchischen Gliederung der
Lazarettverwaltungen:81 Die Leiterinnen des Lazaretts sowie die Vorstandsdamen, die über
bestimmte Bereiche der Lazarettorganisation wie etwa die Verpflegung, die Wäsche oder die
Buchhaltung wachten, waren überwiegend Gattinnen von Honoratioren aus dem Bereich des
gehobenen Bildungs- und Wirtschaftsbürgertums; der klassische Fall war die Frau des Medizinprofessors
, die ihr höheres gesellschaftliches Prestige und ihre nationale Zuverlässigkeit durch
die Übernahme von Leitungsfunktionen in den Lazaretten unterstrich.82 Bei den regelmäßigen
gemeinsamen Besprechungen im Reservelazarett Realgymnasium wurde deshalb auch streng
darauf geachtet, dass die Schwestern von den Vorsteherinnen und Leiterinnen des Lazaretts
getrennt saßen.83 Überdies wurden Frauen, die aus Sicht des Badischen Frauenvereins oder der
Badischen Schwesternschaft gegen die strenge bürgerliche bzw. christliche Sexualmoral verstoßen
hatten, indem sie ein Liebesverhältnis mit einem Lazarettinsassen oder einem Frontsoldaten
eingegangen waren, moralisch schwer verurteilt und radikal geächtet. Eine Krankenschwester,
die im Garnisonslazarett Metz gearbeitet hatte und schwanger geworden war, wurde beispielsweise
Anfang 1918 wegen sittlicher Verfehlung mit unbarmherzigen Kommentaren aus dem
Badischen Frauenverein ausgeschlossen;84 diese strenge Handhabung kam ohne Zweifel auch in
den Lazaretten des Heimatgebietes zum Tragen.

Die Furcht vor einer Aufweichung oder gar Auflösung bürgerlich-konservativer Ordnungsund
Wertvorstellungen infolge der durch den Ersten Weltkrieg in Gang gesetzten Prozesse war
ohnehin eine Grundmelodie vieler behördlicher Äußerungen über die massenhafte Unterbringung
von Verwundeten in Lazaretten und deren direkte bzw. indirekte Folgen. Immer wieder
spricht daher aus den zeitgenössischen Quellen über das Freiburger Lazarettwesen implizit die
Sorge, dass die bisherige Welt aus den Fugen geraten und der Erste Weltkrieg eine Inversion
der politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse auslösen könne. Wiederholt beschwerten sich
beispielsweise die Lazarettaufsichten darüber, dass die soziale und militärische Disziplin der
Soldaten durch den Genuss von Alkohol gefährdet werde. Die zitierte Klage von Fabricius über
die Verweichlichung der Soldaten durch die Gewährung von Genussmitteln aller Art war des-

Herder (wie Anm. 30), S. 32 (Eintrag vom 8.10.1918).
So bereits Chickering (wie Anm. 44), S. 453f.

Vgl. hierzu: Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich: Deutschland im Ersten Weltkrieg, Frankfurt a.M.
2013, S. 128-130.

Vgl. Anni Horch-Aschoff: Kriegstagebuch 1914-1918, StadtAF, Bl Nr. 378, vor allem S. 25-28 und 56-65;
Werthmann (wie Anm. 6), S. 42f. Zum Tagebuch von Anni Aschoff vgl. den Beitrag von Sarah Ohler:
Die Kriegserinnerungen der Anni Aschoff aus Freiburg, in: Schau-ins-Land 132 (2013), S. 95-106.
Das Reservelazarett Realgymnasium wurde beispielsweise von der Gattin des Freiburger Internisten
Prof. Oskar de la Camp, Anna de la Camp, geleitet. Vgl. Werthmann (wie Anm. 6), S. 42f.
Vgl. Aschoff (wie Anm. 81), S. 25-28.

Vgl. den entsprechenden Schriftwechsel in: GLA, 69 Badische Schwesternschaft, Nr. 80.

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