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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2015/0121
seiner Zeit in Tarnöw keine Juden erschossen. Er selbst habe ein gutes Verhältnis zum dortigen
Judenrat, namentlich zu Herrn Welsch gehabt. Dieser habe ihm vertraut, und er hätte ihm sicher
etwas gesagt, wenn es zu Erschießungen gekommen wäre. Bei Welsch habe er sich auch gegen
Bezahlung Textilien beschafft. Lebensmittel seien teilweise von Juden geliefert worden, und
ebenso könnten unter den Handwerkern, die von seiner Stelle beschäftigt wurden, Juden gewesen
sein. An einen Zwischenfall konnte er sich erinnern: Auf dem Marktplatz von Tarnöw habe
die Schutzpolizei den Kofferfabrikanten Spelka in einer früheren Aussage Spilker genannt
- abgeführt. Dieser sei beschuldigt worden, einem deutschen Offizier die Augen ausgestochen
zu haben. Da sehr viele Menschen versammelt gewesen seien, habe er von seinem Dienststellenleiter
Baach den Befehl erhalten, dafür zu sorgen, dass keine Übergriffe vorkämen. Er habe
dann am nächsten Tag den Fall untersucht und festgestellt, dass der Vorwurf von einem Juden
wahrheitswidrig erhoben worden war. Auf seine Anordnung hin sei Spelka daraufhin wieder
entlassen worden. Ihm sei nicht bekannt geworden, dass bei der genannten Polizeiaktion Juden
erschossen worden sind.2* Selber gab an, er habe einen Antrag auf Rückversetzung gestellt, weil
seine Frau schwer krank geworden sei. Das habe der Wahrheit entsprochen, doch er habe auch
zurück gewollt, weil ihm die Verhältnisse in Tarnöw nicht behagt hätten. Mir passte das ganze
Milieu nicht.29 Später habe er erfahren, dass man meinem Antrag deshalb stattgegeben habe,
weil ich nicht die notwendige Härte eines Polizeibeamten hatte.30

Selbstverständlich können diese Aussagen Schutzbehauptungen darstellen. Nachdem im
ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik Deutschland die juristische Aufarbeitung der Verbrechen
während der nationalsozialistischen Herrschaft nur sehr schleppend durchgeführt worden waren
, kamen seit Ende der 1950er-Jahre zunehmend Ermittlungsverfahren in Gang. Von Ende
1963 bis 1965 fand dann der erste große „Auschwitz-Prozess" statt, der einen Durchbruch bedeutete
und auf den zahlreiche weitere Ermittlungen folgten. Selber musste deshalb damit rechnen
, dass seine Aussagen gegebenenfalls Untersuchungen gegen ihn selbst nach sich ziehen
konnten. Das galt insbesondere für seine Vernehmung von 1967, da sie im Rahmen eines Verfahrens
gegen den ehemaligen SS-Obersturmführer Karl Oppermann (1907-?) stattfand, der mit
ihm zusammen in Tarnöw stationiert gewesen war. Offensichtlich blieb er aber unbelastet, es
sind keine Beschuldigungen gegen ihn bekannt.31

vom 13.12.1945 bestätigt, der im Gestapogebäude von Tarnöw arbeitete und eine elektrische Installation
in einer Zelle einrichten sollte. Dabei sei er auf Leutnant Selber (bei ihm: Silber) gestoßen, den
„wirtschaftlichen Leiter" (IPN, Oddzialowa Komisja Scigania Zbrodni przeciwko Narodowi Polskiemu
w Krakowie, DS 1/70, übermittelt von Leszek Hondo, 4.10.2015).

BA-LB, B 162/2164 (Staatsanwaltschaft Dortmund bzw. Bochum 45 Js 18/61), Vernehmung am 23.8.1967,
Bl. 5964-5966 (Zitate zum Zwischenfall: Bl. 5965). Zum Zwischenfall mit dem Fabrikanten Spilker vgl.
AOFAA, 1BAD 935 (Aussagen Selbers 1945).
BA-LB, B 162/2164, Bl. 5962f. (Zitat).

BA-LB, B 162/19727, Bl. 60. Im Entnazifizierungsverfahren benannte Selber einen Herrn Brendt bei
der SD-Dienststelle in Freiburg als denjenigen, der ihm darüber informiert habe: StAF, F 30/1 Nr. 1956,
Spruchkammer-Entscheidung vom 23.8.1949, Begründung S. 2; AOFAA, 1BAD 935, Selbers Aussage
am 6.9.1948. Vermutlich handelte es sich hier um einen Schreibfehler. Gemeint war wohl Franz Berndt
(1909-?), der seit 1933 der SS angehörte und als Schreiber Dienst tat; Anfang 1942 wurde er eingezogen.
Möglich wäre auch Walter Siegfried Brenn (1915-1959), der seit 1937 Mitglied von NSDAP und SS sowie
von 1936 bis 1945 - mit Unterbrechungen - beim Freiburger SD tätig war (Hinweise von Heiko Wegmann
, 7. und 21.5.2015).

Peter Gohle (BA-LB), Mitteilungen vom 6.12.2013 und 17.2.2015. Zur Geschichte der Ermittlungen gegen
NS-Verbrecher und des „Auschwitz-Prozesses" siehe Heiko Haumann: Hermann Diamanski (1910-
1976): Überleben in der Katastrophe. Eine deutsche Geschichte zwischen Auschwitz und Staatssicher-

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