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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2015/0139
Aber es war eine Verschleppungsaktion ...
Die Deportation der jüdischen Bürger Freiburgs nach Theresienstadt

am 13. Februar 1945

Von
Peter Künzel

Flucht

Es war im Februar 1945. Mein Mann war schon im Dezember 44 zu den nach Hinterzarten
ausquartierten beiden Töchtern gegangen, weil die Gestapo ihn zum Schippen einziehen wollte.
Ich ging nicht mit, ich hätte ihn gefährden können. Außerdem mußte jemand in der Wohnung
bleiben, um die Post auf Umwegen nachzuschicken und etwaige Recherchen abzufangen. Auch
mußte ich den Kanarienvogel, der etwas krank war, versorgen. In Hinterzarten waren die Zimmer
nur mit einem elektr. Öfchen notdürftig heizbar (zu kalt für den Vogel).

Freunde hatten mir längst einen guten Unterschlupf im Schwarzwald angeboten. Ich wollte
und konnte (aus inneren Gründen) nicht fort. Am 13. Februar war der Geburtstag des Pfarrers
der Christuskirche. Um 7 Uhr war dort im Gemeindesaal immer Morgenandacht. An diesem
Morgen wollte ich außerdem eine selbstgezogene Hyazinthe hinbringen, Hyazinthen gehörten
seit den Kindertagen zu seinem Geburtstag. Und es gab ja seit dem Großangriff vom 27. November
44 in Freiburg keine Blumen mehr zu kaufen. Als ich gegen halb zehn - nach Einkäufen
- zurückkam, war die Nachbarschaft sehr aufgeregt. Ein Mann sei dagewesen, schon um dreiviertelsieben
Uhr früh, habe mich im ganzen Haus gesucht, und die Nachricht hinterlassen, ich
solle mich bis 11 Uhr in der Goethestraße Nr... melden, persönlich. Ich sah im Adreßbuch nach:
ja, das war die Hauptstelle der Gestapo. Der Weg zu Fuß - eine Straßenbahn gab es ja längst
nicht mehr - war eine Dreiviertelstunde. Nun, wenn man etwas von mir wollte, man konnte ja
nochmal kommen. Ein rotes Rad habe der Betr. gehabt, wurde mir noch berichtet.

Ich packte meine Einkäufe aus und fing an zu kochen auf dem Kohlenherd (Gas gab es keins
mehr). Ich wollte wenigstens noch in Ruhe essen - wenn ich wirklich dorthin mußte. Ein halbe
Stunde später klopfte es stark an der Glastür (Strom war ja keiner mehr da). Ich sah aus dem
Küchenfenster - unten stand ein rotes Rad. Da wußte ich Bescheid [...].'

So beginnt der Bericht über ein persönlich erlebtes, dramatisches Ereignis gegen Ende
des Krieges. Der Verfasserin Gertrud Gurlitt, in der Freiburger Burgunderstr. 30 wohnhaft,
ist offenbar bewusst, dass sie sich augenblicklich in einer bedrohlichen Lage befindet. Soll sie,
ohne zu zögern, dem Willen der Gestapo nachkommen und sich als Jüdin einem unbestimmten
Schicksal ausliefern - oder kann sie es wagen, unter Umgehung dieses Befehls die in Hinterzarten
ausquartierte Familie zu besuchen und sie über ihre eigene Bedrohung zu informieren?
In beiden Fällen würde sie ein großes Risiko eingehen und mit Maßnahmen gegen ihre Freiheit
rechnen müssen. Und um beide Optionen in Ruhe gegeneinander abzuwägen, bleibt ihr keine
Zeit.

Aus einem Bericht von Gertrud Gurlitt über ein persönlich erlebtes Ereignis im Frühjahr 1945, aufgeschrieben
etwa 1957. Abdruck mit freundlicher Erlaubnis von Christoph Gurlitt, Enkel der Verfasserin.

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