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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2015/0164
auf Annexionen erklären sich mit dem Weitblick verantwortungsvoller Politiker, die nicht noch
einmal - wie in den 1920er-Jahren - Chancen zur Verständigung vertun wollten. Unser Nachbar
sah sich zu Entgegenkommen allerdings auch genötigt. Das Land hatte seinen Rang als Großmacht
eingebüßt und nach 1945 in zum Teil verlustreichen Kämpfen (Dien Bien Phu, 1954) sein
Kolonialreich und 1962 sogar Algerien verloren, das wie ein Teil des Mutterlandes verwaltet
worden war. Wie sich die Gewichte schleichend zugunsten Deutschlands verschoben haben,
zeigt die Währung: 1950 waren 100 ,Alte' Francs 1,20 DM wert, Anfang 1958 noch 1,00 DM,
beim Übergang zum Euro (01.01.1999) schließlich 0,2982 DM. Wer von Colmar nach Freiburg
zum Einkaufen fuhr, bekam das zu spüren.

In den letzten Jahrzehnten haben Elsässer ihre deutschen Nachbarn als Touristen, als Arbeitgeber
, Kaufleute und Kunden erlebt, denn Discounter locken mit Anzeigen. Badische Möbelgeschäfte
liefern bis in die Vogesen und elsässische Ziegelhütten bis in den Schwarzwald.
Deutsche Häuslebauer sind in dieser linksrheinischen Gemeinde willkommen, in jener nicht
gern gesehen. Überraschend, für viele beängstigend, kam 1989/90 die deutsche Einheit. Zuvor
hatten französische Medien nicht selten Sorgen bekundet angesichts des demografischen
und wirtschaftlichen Ungleichgewichts zwischen den beiden Staaten, erst recht zwischen Baden
-Württemberg und dem Elsass (derzeit 10,63 bzw. 1,85 Millionen Einwohner). Mit Basel
und Karlsruhe strahlen mächtige Ballungsräume in das Süd- und das Nordelsass aus. Eine diffuse
, von üblen Erfahrungen genährte Furcht vor Vereinnahmung hat sich in den 1960er-Jahren
einmal im Alarmruf eines Politikers aus Weißenburg (?) entladen, der seine Heimat von einer
germanisation pacifique bedroht sah.

Bedeutsamer waren verheißungsvolle Zeichen. Beide Seiten wollten zu einem auf Dauer
tragfähigen Ausgleich kommen und unterstützten deshalb Bestrebungen, Europa im Einvernehmen
mit Deutschland zu einen. Schon wenige Jahre nach Kriegsende wurde der grenzüberschreitende
Verkehr erleichtert. So brauchte ich 1952 für meine Frankreichfahrt zwar noch Rei-
sepass, Visum und den Nachweis, dass ich für die Gültigkeitsdauer des Visums 10 DM pro Tag
in Francs umgetauscht hatte; doch all das war seinerzeit schon leicht zu regeln. Seit Langem genügt
der Personalausweis; wo Grenzposten in Breisach kontrollierten, lädt McDonald's zu einer
Stärkung ein. Ein strapazierfähiges Netz ist entstanden dank Partnerschaften zwischen Städten,
Universitäten und anderen Institutionen, des Deutsch-Französischen Jugendwerks sowie binationaler
Ehen; eine unserer vier Schwiegertöchter stammt aus Burgund; unsere beiden Enkel aus
dieser Ehe wachsen unweit des Elsass mit zwei Sprachen und zwei Staatsangehörigkeiten auf.

Symbolträchtige Initiativen sind dazugekommen: Brücken wurden rasch wiederhergestellt
und neue gebaut. Befestigungen sind touristische Attraktionen geworden - man denke an die
Hohkönigsburg und an Neu-Breisach; Anlagen der Maginot-Linie (Abb. 1) sind allgemein zugänglich
. Luftaufnahmen lassen zwischen dem Nordelsass und der Südpfalz keine Grenze erkennen
; dagegen zeichnet sich der ehemalige ,Eiserne Vorhang' in Europas Mitte als ,grünes
Band' immer noch deutlich ab. Vielfältige Bindungen von Land zu Land gehören zum Alltag.
Wie wenig selbstverständlich sie sind, wie welthistorisch einzigartig die Verständigung zwischen
den vermeintlichen Erbfeinden ist, zeigen Konflikte in geschundenen Teilen unserer Welt.

Elsässer

Über einen französischen Mitstudenten lernte ich 1956 in Colmar Monsieur Ober und dessen
Familie kennen; eine jahrzehntelange Freundschaft hat uns verbunden. Er war wohl noch in
der ,Reichslandzeit' (1871-1919) geboren; ein Bruder (?) lebte in Münster/W. Seine herzensgute
Frau stammte aus Lyon; beide haben mich schon wenige Minuten nach dem Kennenlernen zur

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