Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2015/0167
In den 1980er-Jahren lernte ich ein Winzerehepaar kennen - über einen Kollegen vom Orientalischen
Seminar; der libanesische Christ schenkte bei einer Abendeinladung seinen Gästen
Wein von Scherb ein. Bald darauf fuhr unsere Familie nach Geberschweier, einem Dorf am Fuß
der Vogesen, südwestlich von Colmar. Wir stellten uns vor, und ich erzählte, wie ich zu ihnen
gefunden hatte. Von da an unterhielten wir uns wie alte Bekannte. Wir wurden eingeladen,
reichlich zu probieren und auch edle Tropfen zu kosten; dazu gab es selbstgebackenen Gugelhupf
. So großzügig hatten badische Weinerzeuger uns nicht bedient.

Nach einem Weinkauf sind wir einmal durch Rufach gebummelt. Unsere vier Söhne und
einer ihrer Mitschüler wollten uns nicht begleiten. Als wir zurückkamen, fehlte von den fünfen
jede Spur. Nach einiger Zeit gaben sie sich zu erkennen: Jeder hockte in einer der Platanen, die
den Platz säumen; sie begeisterten sich an einem Bardengesang, der unter ihnen gerade in Mode
war. Madame Scherb hatte ihnen wohl reichlich eingeschenkt.

Im Laufe der Jahrzehnte sind wir bei heiteren und ernsten Gesprächen, mal auf Deutsch,
dann auf Französisch, Freunde geworden. Wir brachten weitere Weinliebhaber mit, sodass man
bald auch im Münsterland Elsässer Gewächse schätzte. Ab und an begleiteten uns auch Gäste
aus ,Innerfrankreich'. Mehr noch: Im Anschluss an Exkursionen durfte ich mit Studenten und
Schülern zu einer Weinprobe kommen. Vorher fragte ich telefonisch an; als ich einmal zu bedenken
gab, ich werde vielleicht der einzige Käufer ihrer Weine sein, meinte Madame nur, sie
habe eine Tochter im Studium und wisse um die Finanzen junger Leute. Mais c'est la clientele
de demain. Die Erwartung ist aufgegangen.

Vor einigen Jahren haben meine Frau und ich das Autofahren aufgegeben. Zweimal im
Jahr schicken Scherb uns ihre aktuelle Weinliste mit dem Vermerk, dass sie dann und dann
ihre Kunden im Breisgau beliefern wollen. Wir bestellen per E-mail, und wenn die Kartons mit
dem Wein verstaut und bezahlt sind (es gelten dieselben Preise wie in Geberschweier), bleibt
meist noch die Zeit für ein Schwätzchen und eine kleine Stärkung. Mittlerweile haben die Eltern
Scherb die Führung des Betriebs der nächsten Generation übergeben. Ihre Tochter hat uns
gelegentlich erzählt, es sei für sie nicht leicht gewesen, sich neben der daheim gesprochenen
Mundart in der Schule das Französische anzueignen, und zusätzlich Deutsch; beide Hochsprachen
beherrscht sie mündlich und schriftlich.

Gelegentlich durfte ich in das Familienalbum blicken. Als ich ein Gruppenfoto genauer anschaute
, sah ich einen Soldaten in der Uniform der Wehrmacht; von den Malgre-nous („gegen
unseren Willen eingezogen") wird noch die Rede sein. Jüngst erwähnte Monsieur, er habe in
Pfarrbüchern herausgefunden, dass sein Name wohl von ,Serb(e)' herzuleiten sei. Wir sahen
uns an Zuckmayer erinnert, der den Rhein als „große Völkermühle" gepriesen hat. Die „Kelter
Europas" habe Goethe und Beethoven hervorgebracht, Gutenberg und Matthias Grünewald. Es
waren „die Besten der Welt! Und warum? Weil sich die Völker dort vermischt haben. Vermischt
- wie die Wasser aus Quellen und Bächen und Flüssen, damit sie zu einem großen, lebendigen
Strom zusammenrinnen".5

Im Herbst 1992 rief mich ein Franzose an und bezog sich auf mein Buch „Reisen im Mittelalter
" (1986). Jean-Marie Zemb, von 1986 bis 1998 Inhaber der Chaire de Grammaire et Pensee
Allemandes des College de France6, hatte sich überlegt, dass eine Vorlesungsreihe zum Thema

Carl Zuckmayer: Des Teufels General. Drama in drei Akten, Frankfurt/M. 312000, S. 65.
Lehrstuhl für deutsche Grammatik und deutsches Denken. Das College de France, 1529 von Franz I.
gegründet, zeichnet sich durch die stolze Devise aus: Docet omnia (Lehrt alles). Von Anfang an stand
es modernen Forschungsrichtungen aufgeschlossen gegenüber. Die am College Lehrenden bestimmen
frei den Inhalt ihrer Lehrveranstaltungen; sie nehmen keine Prüfungen ab. Vgl. Bernhard Schmidt/
Jürgen Doll/Walther Fekl/Siegfried Loewe: Frankreich-Lexikon. Schlüsselbegriffe zu Wirtschaft, Ge-

165


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2015/0167