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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2015/0171
Verführt oder gezwungen, waren Elsässer auch in die Waffen-SS eingetreten; einige von
diesen gehörten zu der SS-Einheit, die am 10. Juni 1944, vier Tage nach der Landung der Alliierten
in der Normandie, in Oradour (Mittelfrankreich) Hunderte von Männern, Frauen und
Kindern hingemetzelt hatte. Auch Elsässer mussten sich 1953 in Bordeaux vor Gericht für den
Frevel verantworten. Einer wurde zum Tode, mehrere zu Zwangsarbeit verurteilt; sie kamen
bald in den Genuss einer Amnestie. Im Elsass hatten der Prozess und die Strafen schwere Unruhen
ausgelöst. Dort hatte man nicht vergessen, dass die in Vichy residierende französische Regierung
die Bewohner von Elsass und Lothringen dem deutschen Besatzer mehr oder weniger
preisgegeben hatte. Noch Jahrzehnte später hat ,Oradour' zu leidenschaftlichem Streit zwischen
Elsässern und ,Innerfranzosen' geführt.

Die böse nationalsozialistische Zeit konnte nicht folgenlos für deutsche Besucher des Elsass
bleiben. Zwei Begegnungen fallen mir ein. In den 1950er-Jahren habe ich einmal einen älteren
Herrn um eine Auskunft gebeten, auf Deutsch. Wie sein Gesichtsausdruck zeigte, hatte er mich
verstanden; doch er reagierte nicht. Ich habe dann meine Frage auf Französisch wiederholt, mit
Erfolg. Seitdem habe ich Fremde nur noch auf diese Art angeredet, was mir erlaubte, mich in
der anderen Sprache zu üben. Ähnlich hat es später meine Frau gehalten. Als sie sich vor einer
Theke einmal mit einer Freundin leise austauschte, wie das Gewünschte wohl auf Französisch
heiße, meinte die Bäckerin freundlich: „Sie können ruhig Deutsch reden." Gelegentlich eines
anderen Einkaufs rügte eine Kundin, dass eins unserer Kinder sich mit seinen Händchen gegen
eine Scheibe der Käsetheke stützte. Als ich versuchte, sie mit einem Blick auf den etwa 5-Jährigen
zu beschwichtigen, zischte sie mich an: Mais restez donc chez vous, si ga ne vous plaitpas
icil („Bleiben Sie doch daheim, wenn es Ihnen hier nicht gefällt!"). Ihr Unbehagen wurzelte
vielleicht nicht einmal in Erfahrungen, die sie oder Angehörige von ihr mit Deutschen gemacht
hatten.

Berichte über ein reiches, mit Stolz gepflegtes Erbe

Seit den 1970er-Jahren habe ich mich in die Geschichte des Landes am Oberrhein eingearbeitet
, also auch in die Geschicke des Elsass. Flächenmäßig ist es die kleinste Region Frankreichs
(8.280 km2; Korsika kommt auf 8.680 km2), aber stolz auf die große Zahl von Vereinigungen,
die das reiche Erbe des Landes pflegen. Ein Dachverband, die Societe Savante d'Alsace et des
Regions de l'Est (1927 gegründet als Wissenschaftliche Gesellschaft für Elsass-Lothringen,
während der de facto-Annexion 1940-1944/45 aufgelöst oder verboten, 1947 wiederbegründet),
koordiniert das Wirken von annähernd 120 Gesellschaften, vor allem aus dem Elsass und benachbarten
Regionen Frankreichs. Allein die Geschichtsvereine zählten Anfang der 1980er-Jahre
etwa 40.000 bis 50.000 Mitglieder.18

Für den deutschen Historiker und die Studierenden in Übungen und Seminaren gab es viele
Gemeinsamkeiten beiderseits des Rheins zu entdecken, vorgegeben durch den Naturraum und
dessen Klima, die Sprache, die Religion, die Herrschaften ... Nicht verwunderlich und doch
bemerkenswert sind gleichzeitige Entwicklungen. Das gilt für den Landesausbau, für Lage,
Formen und Namen der Siedlungen, für die Entstehungszeit von Burgen und Klöstern. Gemeinsamkeiten
in anderen Bereichen: 1834/1851 wurde die „Revue d'Alsace" gegründet; in dieser
ältesten französischen Zeitschrift für Regionalgeschichte spiegeln sich Forschungen zur Ge-

Vgl. Marcel Thomann: Geschichtsvereine im Elsaß. In: Geschichtliche Landeskunde im Elsaß und in der
Pfalz. Arbeitstagung der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften in St. Martin, 12.-
14.10.1983, in: Pfälzer Heimat 1984/Heft 2, S. 50f. (S. 49-83 Referate und Bericht von einer Exkursion).

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