Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 465,da
Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
135.2016
Seite: 154
(PDF, 38 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2016/0154
genen Nationalstaaten als etwas höchst Unvollkommenes betrachte.29 Damit war natürlich auch
Deutschland gemeint, das seiner Auffassung nach von Bismarck nur die äußere Form eines Nationalstaates
, den politisch-rechtlichen Rahmen, erhalten hatte. Die innere Reichsgründung, das
Zusammenwachsen von Macht- und Kulturstaat, musste dagegen erst noch geleistet werden.30
Wie dabei vorzugehen war, hatte Meinecke bereits kurz nach seiner Ankunft in Freiburg bei
einem Vortrag auf dem Stuttgarter Historikertag von 1906 erkennen lassen. Ausgehend von der
neu gewonnenen Erkenntnis, dass die Liberalen um von Gagern 1848/49 dazu bereit gewesen
waren, der deutschen Nation das Opfer der preußischen Staatseinheit zu bringen, bewertete
Meinecke unter Berufung auf die Zukunftsvisionen Friedrich Naumanns die in der Reichsverfassung
festgeschriebene Dominanz Preußens als nicht mehr zeitgemäß. Die von ihm bis
Freiherr vom Stein zurückverfolgten Überlegungen zu einer Auflösung Preußens im gesamtdeutschen
Interesse erhielten damit eine verblüffende Aktualität.31 Meineckes Ideengeschichte
idealisierte also nicht einfach den mit der Reichsgründung erreichten politischen Status quo,
sondern barg ein zeitkritisches Potential, insofern durch sie die Gegenwart mit alternativen,
nicht zur Durchsetzung gekommenen Vorstellungen konfrontiert werden konnte.

Als Meinecke 1907 seine Geschichte der deutschen Nationalstaatsidee abschloss, da lagen
die Gewaltexzesse des 20. Jahrhunderts noch in der Zukunft. Anders als wir heute konnte
Meinecke daher mit dem Nationalitätsprinzip vor allem die Förderung von Freiheit und Kultur
verbunden sehen. Da er zudem seinen Blick auf das politische Denken der Schriftsteller und
Philosophen gerichtet hatte, kam in seiner Darstellung die in ihren Folgen so problematische
Nationalisierung der Massen kaum zur Sprache. Nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs
wirkte daher Meineckes Darstellung, wie auch er selbst 1927 im Vorwort zur 7. Auflage befand
,32 unangemessen optimistisch. Gleichwohl sind viele Einzelanalysen dieses Klassikers der
Geistesgeschichte bis heute lesenswert geblieben und die von Meinecke eingeführte Unterscheidung
zwischen politisch-rechtlich geeinten Staatsnationen und auf gemeinsamer Sprache beruhenden
Kulturnationen hat die moderne Nationalismusforschung dauerhaft bereichert.33

Schon in seinem dritten Freiburger Jahr (1908) war der wegen seines Stotterleidens immer
wieder unter Selbstzweifeln leidende Meinecke in die erste Reihe der deutschen Historiker vorgerückt
. Ablesbar war dies auch an den Rufen, die Meinecke 1909 aus Marburg und Tübingen
erhielt.34 Studentenschaft und Kollegen bemühten sich vereint, den Umworbenen in Freiburg
zu halten. Die Ablehnung des Marburger Rufs wurde mit einem glanzvollen Festkommers im
Kaisersaal des Historischen Kaufhauses begangen35 und von allen Seiten kamen Sympathiebekundungen
. So stellte der Philosoph Heinrich Rickert erfreut fest: Seit Sie hier sind, weht eine
ganz andere Luft unter den Historikern?6

29 Meinecke (wie Anm. 22), S. 14f.

30 Ebd.. S. 16-20.

31

32
33

34
35

36

Zur Resonanz vgl. Meineke (wie Anm. 5), S. 128, Anm. 22f.
Meinecke (wie Anm. 22), S. 4.

Vgl. Dieter Langewiesche: Reich, Nation und Staat in der jüngeren deutschen Geschichte (Erstdruck
1992), jetzt in: Ders.: Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa, München 2000,
S. 190-216, bes. zu Meinecke Anm. 36 auf S. 262.

Vgl. Staatsarchiv Marburg, 307d acc 1966/10, Nr. 5 und Universitätsarchiv Tübingen, Sig. 205/90 und 119/152.

Ein Programmheft u.a. mit der Abfolge der gesungenen patriotischen Lieder sowie die Festrede von Sohm
haben sich erhalten in der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek (NStAUB) Göttingen,
NL Siegfried A. Kaehler, Cod. Ms. 1,120c, Beilage 1 (Programmheft) und 1,163, Beilage 3 (Rede).

Heinrich Rickert an Meinecke, 7. Juli 1909, in: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStAPK)
Berlin-Dahlem. NL Friedrich Meinecke. Nr. 38.

154


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2016/0154