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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
135.2016
Seite: 160
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habilitierte er sich in Marburg zur hessischen Reformationsgeschichte, hielt Ende Juli noch seine
Antrittsvorlesung über „Die Soziallehren Melanchthons", um dann wenige Tage später als
Kriegsfreiwilliger beim ersten Transport an die Front durch einen zufällig ausgelösten Schuss
tödlich getroffen zu werden. Das tragisch-absurde Schicksal des bewunderten Meisterschülers,
auf dessen letzter Grußkarte an den zurückgebliebenen Freund nur die Goetheverse standen
Mich ergreift, ich weiß nicht wie, himmlisches Behagen, erschütterte alle tief.61 Auch der unheilbar
erkrankte Willy Mayer, der am Grabe Sohms die Trauerrede gehalten hatte und seinen
Kriegsdienst in der Presseabteilung des Heeres ableistete, verstarb bereits im September 1917.
In eindringlicher Analyse hatte er Machiavellis Begriff der „virtü" untersucht und war dafür
im Mai 1911 mit dem von Meinecke selten vergebenen Prädikat summa cum laude promoviert
worden. Einer Anregung seines Lehrers folgend, hatte er noch zu Friedenszeiten über die Geschichte
der national-liberalen Partei in der Reichsgründungszeit zu forschen begonnen.62 Der
Dritte der Freunde, Siegfried A. Kaehler, war ein schwer mit sich ringender, höchst sensibler
Charakter, der gleichermaßen geistesaristokratischen Hochmut wie tiefsitzende Minderwertigkeitsgefühle
zeigen konnte. Sein fünfzig Jahre älterer Vater Martin Kaehler gehörte zu den
bedeutendsten Theologen seiner Zeit und sein jüngster Sohn litt schwer daran, dass er nach eigenem
Empfinden dem maßstabsetzenden Vorbild des Vaters in keiner Weise entsprach: Weder
fand er einen Zugang zum christlichen Glauben, noch war von ihm ein wissenschaftliches Werk
von großer Bedeutung zu erwarten. Mit Komplexen belastet und oft kränklich, war Kaehler,
als er im Sommersemester 1907 erstmals das Seminar Meineckes besuchte, alles andere als ein
„pflegeleichter" Musterschüler. Die Abfassung einer Doktorarbeit über Wilhelm von Humboldt
entwickelte sich für Schüler und Lehrer zu einem Drama: Immer wieder legte Kaehler seinem
Lehrer Entwürfe oder Bruchstücke einzelner Kapitel vor, baute diese nach kurzer Zeit wieder
um, glaubte neue wichtige Quellen entdeckt zu haben und verwarf schließlich in regelmäßigen
Abständen seine mühsam entwickelte Disposition, um sich danach einmal mehr ratsuchend an
seinen Lehrer zu wenden.63 Obwohl Meinecke verständnisvoll auf die Dauerprobleme seines
Schülers reagierte und ihn nach vier ergebnislosen Jahren ausdrücklich dazu ermächtigte, sich
in seiner Darstellung auf die Einzelfrage zu konzentrieren, die am konkretesten ist und am einfachsten
liegt, erwies sich Kaehler weiterhin als „schwieriger Fall" und ließ immer wieder fest
vereinbarte Abgabetermine verstreichen.64 Erst im Februar 1914 konnte der - wie er sich selbst
schon 1911 bezeichnete - verkrachte Student65 sein Promotionsverfahren mit einer schmalen,
nur 56-seitigen Untersuchung zu Humboldts Entwurf einer ständischen Verfassung (1819) zum
Abschluss bringen. Als Kaehler am 8. Juni 1914 seine Promotionsurkunde ausgestellt bekam,
befand er sich bereits in seinem 30. Lebensjahr. Nach den nicht gerade ermutigenden Erfah-

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61 Kaehler an Friedrich Meinecke, 12. August 1914, in: Meinecke (wie Anm. 1), S. 323. Ein plastisches Bild
seiner Persönlichkeit hat Willy Mayer in seiner Grabrede entworfen: NStAUB Göttingen, NL Kaehler,
Cod. Ms. 1,163, Beil. 5.

Willy Mayer war der Sohn des Verwaltungsrechtlers Otto Mayer. Er litt seit seiner Jugend an fortschreitender
Nierenschwäche. Er heiratete die Bremer Kaufmannstochter Lina Kulenkampff, die 1911 ebenfalls
von Meinecke promoviert worden war und im Zentrum vielfältiger Freundschaftsbeziehungen vor allem
mit Freiburger Meinecke-Schülerinnen stand. 1922 gab sie in der Meinecke-Festschrift ein Fragment aus
der unvollendet gebliebenen Habilitationsschrift ihres verstorbenen Mannes heraus: Willy Mayer: Aus
der Geschichte der nationalliberalen Partei in den Jahren 1868 bis 1871, in: Deutscher Staat und deutsche
Parteien. Friedrich Meinecke zum 60. Geburtstag dargebracht, hg. von Paul Wentzcke, München 1922,
S. 135-154.

Vgl. exemplarisch: Kaehler an seinen Vater, 15. November 1908, in: Kaehler (wie Anm. 42), S. 109-111.
Vgl. Meinecke an Kaehler, 17. Juni 1912, in: Meinecke (wie Anm. 11), S. 177f., Zitat S. 178.
Kaehler an seinen Vater, 30. August 1911, in: Kaehler (wie Anm. 42), S. 131.

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