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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
135.2016
Seite: 161
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rungen, die Meinecke mit Kaehlers Arbeitsweise gemacht hatte, wäre es verständlich gewesen,
wenn er seine Förderung nun beendet hätte. Das Gegenteil trat aber ein: Meinecke unterstützte
seinen Zögling weiterhin nach Kräften und nahm ihn auch in Schutz, als Jahre später von der
Preußischen Akademie der Wissenschaften das Ausbleiben eines vor 15 (!) Jahren in Auftrag
gegebenen Kommentars zu Humboldts politischen Schriften heftig beklagt wurde.66 Selbst als
Kaehler 1927 seine lange angekündigte Humboldt-Biografie veröffentlichte und darin unter
dem Eindruck seines eigenen Kriegserlebnisses eine radikale Kritik an der auch von Meinecke
vertretenen idealistischen Humboldt-Deutung formulierte, führte dies bei seinem Lehrer zu einer
schweren, aber doch nicht dauerhaften Irritation.67 Meineckes sofort nach der Lektüre des
Werkes geäußerter Wunsch, in ruhiger Aussprache schließlich doch noch ein gemeinsames Terrain
wiederzufinden, erfüllte sich.68 Besonders in den Jahren des Zweiten Weltkriegs trafen sich
Lehrer und Schüler in gemeinsamer, zutiefst pessimistischer Zeitbetrachtung.69 Kaehler war inzwischen
zum Ordinarius ernannt worden und lehrte ab 1936 an der Universität Göttingen, wo
er bis zu seiner Emeritierung 1953 blieb. Insgesamt währte der Gedankenaustausch der beiden
Historiker über vierzig Jahre. Mindestens 271 Briefe hat Kaehler an seinen Freiburger Lehrer
gerichtet und bekam von Meinecke und seiner Frau 154 Briefe zurück.70 Die außergewöhnliche
Intensität der Beziehung wird auch durch die vielen Festreden belegt, die Kaehler auf Meinecke
hielt: 1922 (60. Geburtstag), 1927 (65. Geburtstag), 1928 (Emeritierung) und 1932 (70. Geburtstag
) nahm er diese Aufgabe wahr.71 Meinecke ist es sogar noch vergönnt gewesen, sich für diese
Gunstbeweise zu revanchieren: Als Kaehler 1950 eine Festschrift zu seinem 65. Geburtstag
erhielt, steuerte der damals bereits 87-jährige Lehrer das Geleitwort bei.72

Das Verhältnis, das Meinecke zu Kaehler unterhielt, lässt sich ohne Übertreibung als Vater
-Sohn-Beziehung mit allen dazugehörigen Höhen und Tiefen bezeichnen. Was Meinecke an
Kaehler schätzte, war vor allem der unbedingte Ernst seiner Erkenntnissuche, die auch stets strenge
Selbstprüfung der eigenen, durch die preußisch-protestantische Tradition vermittelten Urteilsmaß -
stäbe mit einschloss.73 Die Unbestechlichkeit Kaehlers, der „einfache" und „schnelle" Antworten
ablehnte und modische Anpassungen an den Zeitgeist konsequent vermied, beeindruckte Meinecke.

Eine Sonderstellung nahm im Kreis der Freiburger Meinecke-Schüler der in Kassel geborene
, aus einer wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie stammende Franz Rosenzweig (1866-
1929) ein. Der nonkonformistische, den Widerspruch liebende Einzelgänger stand 1908/09 auch
mit den Freunden um Sohm in Verbindung und besonders zu dem mitunter provozierend auftretenden
Kaehler entwickelte sich ein spannungsreiches Verhältnis, das im Januar 1910 nach
einem Eklat zunächst zerbrach. Im Herbst 1918 traf man sich als Soldaten eines geschlagenen
Heeres in Freiburg zufällig wieder und fand nun in der scharfen Ablehnung der Revolution einen
neuen gemeinsamen Boden.74 Rosenzweig hatte sich einst, angeregt durch die Lektüre des

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Meinecke an Konrad Burdach, 3. Juni 1927, in: Meinecke (wie Anm. 11), S. 293f.

Dazu Patrick Bahners: Das Erlebnis des Erben. Siegfried August Kaehler und der Staat, in: Preussische
Stile. Ein Staat als Kunststück, hg. von Patrick Bahners und Gerd Roellecke, Stuttgart 2001, S. 416-446.

Meinecke an Siegfried A. Kaehler, 11. Dezember 1927, in: Meinecke (wie Anm. 1), S. 338.

Dazu Ernst Schulin: Zwiegespräch deutscher Historiker in dunkler Zeit, in: Deutsche Universitätszeitung
18 (1963), S. 23-26.

So viele Briefe haben sich jedenfalls in den jeweiligen Nachlässen erhalten.
Vgl. NStAUB Göttingen, NL Kaehler, Cod. Ms. l,120d und Cod. Ms. l,120e.
Meinecke an Siegfried A. Kaehler, Mai 1950, in: Meinecke (wie Anm. 1), S. 557-560

73 Ebd., S. 559.

74 Vgl. Ina Lorenz: ,Erkennen als Dienst am Menschen'. Einige unveröffentlichte Briefe von Franz Rosenzweig
an den Historiker Siegfried A. Kaehler, in: Der Philosoph Franz Rosenzweig (1866-1929). Inter-

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