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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
135.2016
Seite: 184
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dauerte es dagegen bis in die 1970er-Jahre, bis bewusst Pflegestationen eingerichtet wurden - in
den Jahren davor hatten die Träger dieser Heime dagegen lediglich unter dem Druck eines steigenden
Bedarfs Altenheimbetten so notdürftig wie provisorisch in Pflegebetten umgewandelt.
Altenwohnungen schließlich, die dritte zeitgenössische Variante für die Unterbringung älterer
Menschen, entstanden in Castrop-Rauxel ab Ende der 1960er-Jahre, also fast ein halbes Jahrhundert
, nachdem die Städtische Siedlungsgesellschaft in Freiburg die ersten Wohnungen dieser
Art gebaut hatte.

Auf den ersten Blick ließe sich aus diesen Beobachtungen die polemische Bewertung ableiten
, dass sich der Ausbau der Wohnversorgung für ältere Bürger in Castrop-Rauxel gerade
deshalb verzögerte, weil sich die städtische Bürokratie viel stärker darin einbrachte als die freien
Wohlfahrtsorganisationen. Dieses Argument hält jedoch einer näheren Analyse nicht stand.
Vielmehr waren es verschiedene Faktoren, die dafür sorgten, dass die Geschwindigkeit, mit der
sich der Bereich der Unterbringung älterer Menschen in Castrop-Rauxel entwickelte, sehr viel
geringer war als in Freiburg.

Ein besonders gewichtiger Faktor war dabei die Bevölkerungsstruktur. Castrop-Rauxel
nahm nach 1945 über 20.000 Vertriebene auf, die somit mehr als ein Viertel der Bevölkerung
stellten. In Freiburg waren es zwar in absoluten Zahlen ähnlich viele Menschen, die aus den ehemaligen
deutschen Gebieten zuzogen, doch lag ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung um einiges
niedriger, 1963 zum Beispiel bei weniger als einem Sechstel. Die Castrop-Rauxeler Bergbaugesellschaften
, die zahlreiche soziale Leistungen erbrachten und auch im Wohnungsbau sehr aktiv
waren, sahen daher ihre Hauptaufgabe in den 1950er-Jahren darin, Wohnungen für Familien
und die erwerbstätige Bevölkerung zu errichten. Dies passte zu den allgemeinen Schwerpunkten
der damaligen Landes- und Bundespolitik.43

Darüber hinaus war Castrop-Rauxel zunächst eine überwiegend junge Stadt. Bis in die frühen
1960er-Jahre verzeichnete die Stadt eine der höchsten Geburtenraten in Nordrhein-Westfalen
. 1963 war sogar ein Viertel der Castrop-Rauxeler Bevölkerung unter 15 Jahre alt. Und noch
bis Ende der 1960er-Jahre wurden in der Stadt mehr Kinder geboren als Menschen starben. Darin
bestand ein großer Unterschied zu Freiburg, wo wie beschrieben bis Ende der 1960er-Jahre
mehr über 65-Jährige lebten als im Bundesdurchschnitt.44

In Castrop-Rauxel spürten die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung daher lange
Zeit nicht denselben Druck wie die Freiburger, die sich durch die große Zahl älterer Menschen
frühzeitig zum Handeln gezwungen sahen. 1955 zum Beispiel, als der Wiederaufbau zerstörter
Heime in Freiburg bereits in vollem Gange war, hielt der Castrop-Rauxeler Stadtdirektor andere
Projekte für wichtiger, als das überlastete städtische Pflegehaus durch einen Neubau zu ersetzen
. Verstärkte Bemühungen, die Wohnversorgung älterer Menschen sicherzustellen, waren in
der Bergbaustadt erst zu beobachten, als die Altersquote den bundesdeutschen Durchschnitt
erreichte und schließlich um 1970 überstieg, unter dem Einfluss hoher Wanderungsverluste infolge
der Bergbaukrise.45

Badische Zeitung, 28.8.1963; Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 11.6.1959 und 27.9.1963; vgl. Tilo
Cramm: Bergbau ist nicht eines Mannes Sache. Das Bergwerk Victor-Ickern in Castrop-Rauxel, Essen
22001, S. 291f.; vgl. Irmak (wie Anm. 13), S. 134; vgl. Neisen (wie Anm. 7), S. 192f. und 196-198.

Tätigkeitsbericht der Stadt Castrop-Rauxel 1963, S. 5 und 20, StadtACR, AZ 4526; Westdeutsche Allgemeine
Zeitung, 27.9.1963.

Schreiben des Stadtdirektors, 13.7.1955, StadtACR, AZ 18352; Aktenvermerk des Sozialamts, 13.5.1970,
StadtACR, AZ 12411; Handbuch Castrop-Rauxel 1963-1971, S. 22, und 1972-1974, S. 25, StadtACR;
Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 12.10.1974.

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