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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2017/0056
Stadtbewohner ohne Eigentum, zählte zum Prekariat, lebte am Existenzminimum. Blieb ihnen
nur die Hoffnung auf den Ausgleich im „Jüngsten Gericht"? Das flehentliche Gebet um Hilfe
in den Nöten zu den Heiligen, zur Mutter Gottes? Niemals war jedenfalls die Jenseitssehnsucht
(verbunden mit der Höllenangst) so ausgeprägt wie am Vorabend der Reformation. Nie war
überhaupt das Leben der Menschen so von Religion durchtränkt wie damals. Aber was war das
für eine Frömmigkeit?

Nehmen wir den Hochaltar unseres Münsters in den Blick. Wir sprechen vom „Altar", aber
der eigentliche Altar, die Mensa für die Eucharistiefeier ist gar nicht präsent. Nur das Retabel,
das Hochaltargemälde. Von der Messe (lateinisch, vom Volk abgewandt, leise) nahm das Volk
fast nichts wahr. Der Lettner unterstrich die Trennung von Volk und Klerus, für den der riesige
Chor geschaffen wurde. Die Gläubigen blickten auf das Bild mit der Marienkrönung: ein
Zentralmotiv der damaligen Frömmigkeit. Im Mittelpunkt steht ein Mensch, entsprechend dem
Weltbild der Renaissance und des Humanismus. Dieser Mensch ist eine heilige Frau, Maria, die
Heilige schlechthin, die Königin aller und alles Heiligen. Um Maria und die Heiligen drehte sich
fast alles in der damaligen Volksfrömmigkeit. Die Marienkrönung stellt Hans Baidung als einen
Höhepunkt der Heilsgeschichte in aller Pracht und Schönheit dar, eine wahre Augenweide. So
wollte es die damalige Schaufrömmigkeit: „Mehr mit den Augen als mit den Ohren glauben."3
Dieser Höhepunkt der Heilsgeschichte ist allerdings biblisch gar nicht bezeugt. Die an diesem
Beispiel sichtbaren Elemente der damaligen Frömmigkeit (Fokussierung auf den Menschen, auf
die Heiligenverehrung, auf die Schaufrömmigkeit und den Legendenglauben ohne Bibel) haben
reformatorisches Denken herausgefordert. Luther hat Maria als Gottesmutter verehrt. Aber
eine „Königin des Himmels" (und Königin der Erde und der Engel - diese musizierten ihrer
Königin beim Krönungsfest!), das lehnte er ab. Und ebenso stellten er und die Reformatoren die
im Spätmittelalter auswuchernde Verehrung der Heiligen infrage, insofern sie der Vermittlung
göttlicher Gnade dienen sollte.

Nun sind gerade um 1500 so viele Heiligenbildnisse, Heiligenaltäre und Heiligenkapellen
geschaffen (und ausgestaltet) worden wie nie zuvor. Im Münster gab es fast zwei Dutzend
Altäre zu Ehren von Heiligen. Im Umkreis von Freiburg entstanden um 1500 zum Beispiel die
neue Ottilienkapelle, die Kapelle in Himmelreich, die Wallfahrtskapelle auf dem Hörnleberg
oder die Marienkapelle auf dem Lindenberg. Wallfahrten führten zu solchen Heiligtümern der
Muttergottes oder einzelner Heiligen. War die Region Oberrhein nicht geradezu eine Marien-
Landschaft? (Die Bistümer Straßburg und Konstanz waren Maria geweiht!). Man betete inbrünstig
um Fürbitten von Maria und der Heiligen zur Erlösung der „Armen Seelen" aus dem
Fegefeuer. Durch unzählige und unerhört kostspielige Stiftungen glaubte man, sich selbst oder
bestimmten Verstorbenen einen Platz im Himmel zu sichern (oder gar zu erkaufen?). Gestiftet
wurde für Altäre, für Seelenmessen, liturgische Gewänder und Gerätschaften u.a. mehr, für das
sogenannte „Seelgerät". Man kann geradezu von einer Verdinglichung (wenn nicht sogar von
einer Kommerzialisierung) des Glaubens sprechen. Der Freiburger Goldschmied Peter Sachs
schuf für die Kopfreliquie des als zweiter Stadtpatron verehrten Heiligen Lambertus 1514/15
eine kostbare Büste in vergoldetem Silber. Der Reliquienkult trieb seltsame Blüten. Bei Josef
Sauer kann man im Freiburger Diözesan-Archiv 46 (1919), S. 367ff., nachlesen, was für absurde
Sachen hier im Land erworben und verehrt wurden: Scherben vom Krug aus der Hochzeit von
Kanaan, Haare vom Bart des Apostels Thomas, eine Locke von der Gottesmutter (wie auch

Hansgeorg Molitor: Mehr mit den Augen als mit den Ohren glauben. Frühneuzeitliche Volksfrömmigkeit
in Köln und Jülich-Berg, in: Volksfrömmigkeit in der Frühen Neuzeit, hg. von Dems. und Heribert
Smolinsky (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 54), München
1994, S. 89-106, hier S. 89ff.

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