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soll? Will sie ihm vielleicht auch noch aus der Hand lesen und wahrsagen, wie sein Schicksal
sein werde? Möglicherweise handelt sie so, um die Erwartungshaltung der deutschen Soldaten
„Zigeunerinnen" gegenüber zu erfüllen und damit zu erreichen, dass die Besatzer sie gut behandeln
.18 Und der Soldat verhält sich ebenfalls dem Klischee entsprechend: Er weiß nicht so recht,
wie er reagieren soll, ist verlegen, weil er vielleicht gerne auf das Angebot der „Zigeunerin"
eingehen möchte, aber zugleich Hemmungen hat, diesem Wunsch nachzugeben.

Obwohl somit das traditionelle „Zigeunerbild" reproduziert wurde, war das Foto für die
nationalsozialistische Propaganda nicht geeignet. Während Karl Müller seine Fotos von der
„Normalität" des Lebens in einem besetzten Gebiet aufnahm, wurden „Zigeuner" als Menschen
„artfremden Blutes" nicht nur aus der Gesellschaft ausgegrenzt, sondern verhaftet, in Ghettos
im eroberten Polen überführt und bald darauf systematisch in Vernichtungslager deportiert.19
Müllers Blick auf die „Zigeunerinnen" widersprach dieser Politik. Sie erscheinen nicht als
„rassisch minderwertig", sie handeln eigenständig, auch die Soldaten behandeln sie nicht geringschätzig
und verächtlich. Das Foto erlaubt keinen Rückschluss auf die Lebenswelt der
„Zigeuner" in der besetzten Region, belegt aber, dass die „Zigeunerinnen" noch unbehelligt in
der Öffentlichkeit auftreten und Handlungsspielräume nutzen konnten.

Nach dem „Auschwitz-Erlass" des Reichsführers-SS Heinrich Himmler vom Dezember
1942 wurden 1943 auch die Sinti (Manouches) in Nordfrankreich und Belgien verhaftet. Im
Januar 1944 ging ein Sammeltransport mit 351 Sinti und Roma vom Lager Mechelen (Malines)
in das „Zigeunerlager" von Auschwitz-Birkenau ab. Nur wenige von ihnen überlebten.20 Ob
und seit wann Karl Müller von diesen Vernichtungsaktionen wusste, ist nicht bekannt. Sein
Blick auf die Franzosen und die „Zigeunerinnen" war nicht rassistisch geprägt, zeigt aber das
Fortwirken von Klischees. Seine Fotos sind Momentaufnahmen des Besonderen im Alltäglichen,
Momentaufnahmen einer „Normalität", die wenig später zerbrach.

Vgl. Reuter (wie Anm. 9), S. 275.

Michael Zimmermann: Rassenutopie und Genozid. Die nationalsozialistische „Lösung der Zigeunerfrage
", Hamburg 1996; Haumann (wie Anm. 1), S. 85-117.

Siehe: Mechelen, Goswin de Stassartstraat. Gedenkorte der Sinti und Roma. Dokumentations- und Kulturzentrum
Deutscher Sinti und Roma (www.gedenkorte.sintiundroma.de [19.5.2017]). Zum „Auschwitz
-Erlass" und zum Leben im „Zigeunerlager" vgl. Haumann (wie Anm. 1), S. 100-184.

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