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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2018/0131
Die Bedeutung der Schule

Das vermutlich bekannteste literarische Beispiel für die Beeinflussung der Schüler durch ihre
Lehrer, mit dem Ziel möglichst viele Kriegsfreiwillige zu werben, ist der preußische Gymnasiallehrer
Kantorek im Buch „Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque.40 Er führte
seine Primaner, die von ihm sogenannte „Eiserne Jugend", geschlossen zur Rekrutierungsstelle,
nachdem in Preußen die Schule zwischen dem 3. und 12. August 1914 wieder begonnen hatte
.41 Seit Sarajewo hatte sich die öffentliche Meinung entwickelt und die Lehrerschaft, auch die
akademischen Lehrer, sahen sich geradezu in der vaterländischen Pflicht4, auf ihre Schüler und
Studenten einzuwirken. „Insgesamt findet sich unter den stichprobenweise untersuchten Schulen
nicht eine einzige, deren Oberprimaner [Ol] sich nicht vollzählig als Kriegsfreiwillige meldeten
; dazu kommen zahlreiche Schüler aus den Klassen Ul [Unterprima, 12. KL], 02 [Obersekunda
, 11. KL] und U2 [Untersekunda, 10. Kl.]." „Der allerjüngste Vaterlandsverteidiger" ist
„der Obertertianer Villert, 14 Jahre und neun Monate alt, eingetreten in ein Ersatzbataillon", so
eine Meldung im „Neuköllner Tageblatt" vom 6. September 1914.42

Die Situation an den badischen Schulen war jedoch eine völlig andere: Erst Ende Juli hatte
das Schuljahr geendet, sodass bei der Mobilmachung noch Schulferien waren - ebenso wie
Semesterferien. Geinitz und Chickering haben die Ausgaben der Freiburger Tageszeitungen
durchgesehen, jedoch keine Hinweise auf gezielte Anwerbungen seitens der Lehrer- oder Professorenschaft
im August 1914 gefunden. Gleichwohl unterlag Paul wie sein Bruder Walther seit
der Einschulung 1905/06 dem kaiserlichen Bildungssystem mit badischen Modifikationen. Wie
sah das System aus?

In einem Buch des US-Historikers Andrew Donson wird das Erziehungs- und Bildungssystem
im kaiserlichen Deutschland vor 1914 und bis 1918 untersucht.43 In seiner Zusammenfassung
widerspricht Donson nachdrücklich Forschungsergebnissen, wonach Reformbestrebungen
im Schulwesen erst durch die Revolution 1918 umsetzbar wurden. Er sieht vielmehr eine einschneidende
Zäsur im Beginn des Ersten Weltkriegs, der eine „war pedagogy" ermöglichte, mit
liberaleren Methoden - allerdings auch mit manipulativen Elementen den Krieg selbst betreffend
, ja auch verherrlichend. „Before 1914 moderate nationalism and militarism had penetrated
some schools", so Donson.44 In einer Rezension über das Buch ist dazu zu lesen: „Dabei stellt
er [Donson] heraus - und das ist seine erste zentrale These -, dass die Erziehung im Kaiserreich
keineswegs von engen chauvinistischen oder militaristischen Inhalten und Formen geprägt
war. Im Gegenteil: Gestützt auf eine dichte Dokumentation der öffentlichen Bewertungen und
Aufnahmen entsprechender Angebote stellt er die landläufige Uberzeugung von dem nationalistischen
, kriegsverherrlichenden Drill, dem die deutsche Jugend vor 1914 ausgesetzt gewesen
sei und den sie in sich aufgenommen habe, überzeugend in Frage. Dabei stützt er sich unter
anderem auf Zahlen der Teilnahme an paramilitärischen Veranstaltungen oder auf Umfragen zu
Berufswünschen von Schülern."45

Erich-Maria Remarque: Im Westen nichts Neues, Berlin 1928, S. 16 und 24.

Ingeborg Rürup: Kriegsbegeisterung, Schulalltag und Bürokratie an den höheren Lehranstalten Preußens
1914, in: August 1914 (wie Anm. 5), S. 181-193, hier S. 181.

Ulrich (wie Anm. 5), S. 234.

Andrew Donson: Youth in the fatherless Land. War Pedagogy, Nationalism, and Authority in Germany,
1914-1918 (Harvard Historical Studies 169), Cambridge/Mass. 2010.
Ebd., S. 223ff.

Rainer Benedick, in Clio-online: http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-15088 (veröffentlicht
am 17.10.2011).

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