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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2019/0102
Angeklagten Solf3 dazu benutzten, um nach Schluß des offiziellen Teils mit dem Fortgang der
anderen Gäste hemmungslose Kritik an den Maßnahmen von Partei und Staat zu üben und auf
einen Sturz des nationalsozialistischen Regimes hinzuwirken, heißt es dort.

Als besonders verwerflich erschien den Nationalsozialisten die Einschätzung der Angeklagten
im Hinblick auf den zu erwartenden Ausgang des Krieges. So heißt es dort weiter: Sie
hielten auch, zumindest nach den ersten Rückschlägen im Osten, den Krieg für Deutschland
für verloren und hatten aus Angst vor einem Einmarsch der Bolschewisten*4 die Absicht, mit
den Westmächten heimlich Verbindung aufzunehmen, um mit ihnen Friedensmöglichkeiten zu
erörtern und sie zu einem gemeinsamen Vorgehen gegen die Sowjetunion zu gewinnen. In dieser
Auffassung der politischen und militärischen Lage bestärkten sie sich gegenseitig so sehr,
dass ihre Stimmung von einem der Beteiligten als „friedenssüchtig"*5 bezeichnet worden ist''
Eine realistische Einschätzung der militärischen Lage wurde in den Augen der Nazis zu einem
Verbrechen.

Die den Angeklagten vorgeworfene Planung eines gewaltsamen Umsturzes ist von konkreten
, militärisch-taktischen Überlegungen getragen, die in der Anklageschrift wiedergegeben
werden: Das Wissen um die Aussichtslosigkeit eines Friedensschlusses zwischen einer nationalsozialistischen
Regierung und den Westmächten, ebenso die Erkenntnis, dass Führer und
Reichsregierung nicht freiwillig zurücktreten würden, sodass ein gewaltsamer Umsturz unumgänglich
erschien.

Die Anklageschrift geht sodann auf die Erörterungen und Gründe näher ein, welche die
Mitglieder des Solf-Kreises dazu bewogen haben, auf die Beseitigung des nationalsozialistischen
Regimes hinzuwirken. So sei ihr Ziel gewesen, die Westmächte zum Friedensschluss zu
bewegen, worauf mit einer nationalsozialistischen Regierung keine Aussicht bestanden hätte.
An dieser Stelle zumindest ist es nicht die prinzipielle Gegnerschaft zum Nationalsozialismus,
die den Tatbestand des Hochverrats begründen soll, sondern sind es vielmehr militärisch-taktische
Erwägungen (die für sich genommen unangreifbar sind). Dafür seien die Angeklagten
bereit gewesen, den Westmächten Zugeständnisse zu machen: Die Unterstellung der deutschen
Truppen unter englischen Oberbefehl, die Beteiligung der Engländer an der deutschen Industrie,
eine Rückkehr zur freien Wirtschaft und, besonders wichtig, eine Angleichung in Verfassungs-

Johanna Solf war schon, ebenso wie Elisabeth von Thadden, mit Anklageschrift vom 22.06.1944 angeklagt
worden, deshalb hier bereits als „Angeklagte" bezeichnet.

Interessant ist im vorliegenden Zusammenhang die Einschätzung, es könne zu einem Angriff der Bolsche-
wisten auf Deutschland kommen. Eine Beurteilung, die durch namhafte Historiker bestätigt wird, vgl.
Joachim Hoffmann: Stalins Vernichtungskrieg, München 82001; Ernst Topitsch: Stalins Krieg: Moskaus
Griff nach der Weltherrschaft. Strategie und Scheitern, 2. Überarb. und erw. Aufl., Herford 1993; Viktor
Suworow: Stalins verhinderter Erstschlag, Selent 2000; Bogdan Musial: Kampfplatz Deutschland:
Stalins Kriegspläne gegen den Westen, Berlin 2008; Bernd Schwipper: Deutschland im Visier Stalins:
Der Weg der Roten Armee in den europäischen Krieg und der Aufmarsch der Wehrmacht 1941 - Eine
vergleichende Studie anhand russischer Dokumente, Gilching 2015; Bernd Martin: Deutsche Opposi-
tions- und Widerstandskreise und die Frage eines separaten Friedensschlusses im 2. Weltkrieg, in: Benz/
Pehle (wie Anm. 32), S. 79-107, hier S. 83. Vgl. in diesem Zusammenhang auch den in der Anklageschrift
erhobenen Vorwurf, die Angeschuldigten hätten für wichtig gehalten, die Westmächte nach Möglichkeit
für eine Beteiligung am Kampf gegen die Sowjetunion zu gewinnen, und seien auch unter diesem dem
Gesichtspunkt zu Zugeständnissen bereit gewesen.

Die Bezeichnung als „friedenssüchtig" bezieht sich im vorliegenden Zusammenhang auf alle Mitglieder
des Solf-Kreises, nicht, wie Uwe Schellinger meint, speziell auf Richard Kuenzer. Es handelt sich auch
nicht um die unmittelbare Einschätzung der Ankläger, vielmehr zitiert die Anklageschrift hierfür einen
nicht namentlich benannten Zeugen, dem diese Aussage zugeschrieben wird.

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