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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2019/0113
Vielleicht erinnern Sie sich, daß ich in Gesprächen vor dem Kriege der Meinung war,
daß der Glaube an Gott nicht wesentlich sei [...]. Heute weiß ich, dass ich unrecht
hatte, ganz und gar unrecht. Sie wissen, daß ich die Nazis vom ersten Tag bekämpft
habe, aber der Grad der Gefährlichkeit und Opferbereitschaft, der heute von uns
verlangt wird und vielleicht morgen von uns verlangt werden wird, setzt mehr als gute
ethische Prinzipien voraus.142

Warum genügen diese ethischen Prinzipien nicht? Weil sie immer zunächst abstrakt sind!
Sie setzen sich nicht unmittelbar und ohne Weiteres in persönlichem Handeln um, weil es für
die Person leichter ist, Abstand von ihnen zu wahren. Vielleicht ist der christliche Glaube auch
deshalb im Vorteil, weil er das Böse in anderer, umfassenderer Weise verstehen kann und weil
er mehr Kraft zum Handeln gibt als ein abstraktes ethisches Prinzip.

So war es Kuenzers christlicher Glaube, der vielleicht als tiefstes Fundament seines Widerstands
gesehen werden kann. Der Schwager seiner Frau, Nickolas Benckiser, wird später über
ihn schreiben: Die Leidensbereitschaft dieses von innen her heiteren, ja strahlenden Menschen
war aus tieferen Urgründen als denen des politischen oder sonstigen Verstandes genährt. Kuen-
zer [...] war tief religiös.143 Und lassen wir Johanna Solf noch eine weitere Deutung der Persönlichkeit
Kuenzers vornehmen: Er war einer der edelsten Menschen, ein wahrer Demokrat, nicht
aus Parteizugehörigkeit, sondern aus Weltanschauung, wie man sie in seiner süddeutschen Heimat
mehr findet als in Preußen.144

Das Unrecht seiner Zeit hat er als sein persönliches Unglück empfunden: Schwer hat er
all die Jahre gelitten, wie wir alle, nicht mehr unter dem Terror, sondern unter der Schmach
dieses Terrors. Manches Mal hatte er mir gesagt: Wenn alles vorbei ist, gehen wir nach Polen,
freiwillig [...], um zu sühnen.145 „Die Kirche rühmt sich ihrer Zeugen nicht, um damit eigenes
Versagen vergessen zu machen, ist aber dankbar, dass es sie gab", heißt es in der Einleitung zum
„Martyrologium".146 Die Inschrift auf der Gedenktafel auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof
gedenkt dieser Zeugen mit den Worten: Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt
werden, denn das Himmelreich ist ihrer (Matth. 5,10).147

142 Brief Helmuth von Moltkes an Lionel Curtis, Stockholm, 18.04.1942, zitiert in Frey von Moltke/Michael
Balfour/Julian Frisby: Helmuth James von Moltke 1907-1945. Anwalt der Zukunft, Stuttgart 1975, S.
176 und 184ff.

Nickolas Benckiser: R. K. (1875-1945), unveröffentl. Ms., 1961.
Solf (wie Anm. 22).
Ebd.

Moll (wie Anm. 107), S. XL.

Vgl. Holger Hübner: Das Gedächtnis der Städt. Gedenktafeln in Berlin, 1997, S. 66f.; Hans-Rainer
Sandvoss: Widerstand in Mitte und Tiergarten (Widerstand in Berlin 1933-1945 VIII), Berlin 1994, S.
381.

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