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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2019/0152
Fast alle untersuchten Personen erhielten diese Beurteilung. Robert Ritter vertrat die Meinung
, dass sich die Sinti und Roma mit dem deutschen kriminellen, asozialen Subproletariat
vermischt hätten und minderwertiges Erbgut in sich trügen. Damit hatte die „Rassenhygienische
Forschungsstelle" ihre Aufgabe erfüllt und scheinbar wissenschaftlich nachgewiesen, dass
die Zigeuner tatsächlich artfremden Blutes und den Juden gleichzusetzen seien. Mit Hilfe der
Karteien der Forschungsstelle und darauf beruhender Kurzgutachten konnten die vollständige
Erfassung, Verfolgung und schließlich Vernichtung der „Zigeuner" in Angriff genommen werden
.12

Friedrich bekam es mit der Polizei zu tun, weil er „auffällig" wurde: Wegen Feldfrevels,
groben Unfugs und nächtlicher Ruhestörung erhielt er mehrfach Strafen. Dann nahm der Druck
zu. Am 13.11.41 stahl er in einem ärztlichen Wartezimmer eine Handtasche und erhielt deshalb
zwei Wochen Jugendarrest durch das Amtsgericht Kenzingen. Das Zuchtmittel machte auf ihn
wenig Eindruck. Bereits am 6.7.42 entwendete er einem Landwirt in Herbolzheim einen Geldbeutel
mit Geld und Taschenmesser und aus einem Küchenschrank eine Armbanduhr. Für diese
Tat erhielt er vier Monate Gefängnis. Während der Untersuchungshaft habe er verschiedene
Gegenstände, darunter Glasscherben, verschluckt. Eine davon entstandene Blinddarmentzündung
sei in der Freiburger Universitätsklinik operiert worden - und bei dieser Gelegenheit sei er
entwichen. Man fasste ihn wieder, und er musste seine Strafe zu Ende verbüßen. Anschließend
wurde er am 18.12.42 in Fürsorgeerziehung genommen und in das Jugendstift Sunnisheim in
Sinsheim / Eis. gebracht.13

Bei dieser „Fürsorgemaßnahme" gingen die Behörden mit beispielloser Menschenverachtung
vor. Am 24. November 1942 beantragte das Kreisjugendamt in Emmendingen beim Amtsgericht
Kenzingen, den Fürsorgeerziehungszögling Spindler unverzüglich in einer Erziehungsanstalt
unterzubringen. Dies geschah offensichtlich auf Anordnung der Gauamtsleitung der
Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) und des badischen Landesjugendamtes. Vermutlich
handelte man hierbei im Gesamtzusammenhang der verschärften nationalsozialistischen
„Zigeunerpolitik".14 Eigentlich sollte es Friedrich Spindler nicht mehr ermöglicht werden, zu
seinen Eltern zurückzukehren. Doch er war bereits aus dem Jugendgefängnis Heilbronn entlassen
worden und befand sich wieder in Herbolzheim. Daraufhin wurde der Herbolzheimer
Bürgermeister beauftragt, Friedrichs Vater zu befragen, ob er mit der sofortigen Unterbringung
seines Sohnes in einer Erziehungsanstalt einverstanden sei. Bejahendenfalls sei ihm eine entsprechende
schriftliche Erklärung abzunehmen, deren Wortlaut gleich beigefügt wurde. Anschließend
solle ein Polizeibeamter in Zivil Friedrich Spindler auf Kosten des Kreisjugendamtes
in die Erziehungsanstalt Sunisheim [sie!] in Sinsheim a/Eisenz bringen. Der Bürgermeister teilte
einen Tag später mit, Vater Peter Spindler habe ihm erklärt, er sei beim Jugendamt in Emmendingen
gewesen. Die Sache sei behoben. Er müsse nur bei der Staatsanwaltschaft Berufung
einlegen. Der Bürgermeister ließ das nicht auf sich beruhen und rief Herrn Stein im Jugendamt
an. Dieser erklärte ihm, daß Spindler heute morgen beim Jugendamt war und es bekannt ist, daß

Vgl. Haumann, Akte (wie Anm. 2), S. 74 (Zitate), 75 und 82-84; Ders., Zigeuner (wie Anm. 3), S. 35-37.

Wie die bürokratische Erfassung und Verfolgung aussehen sollte, um das deutsche Volk von der Zigeunerplage
zu befreien, zeigt eindrucksvoll der Vortrag eines Mitarbeiters der Kriminalpolizeistelle Karlsruhe
vom 04.02.1939: GLA, G 12/2 P. 3 Nr. 240 (Hinweis von Reinhold Hämmerle).

GLA, 507 Nr. 4720 Bl. 106, ebenso 4721 (aus der Urteilsbegründung vom 06.07.1943). Die Akte Nr. 4721

enthält keine Paginierung; darauf wird im Folgenden nicht mehr hingewiesen. Sinsheim an der Eisenz
liegt zwischen Heidelberg und Heilbronn. Zu Spindlers Straftaten siehe auch die Auskunft aus dem Strafregister
: GLA, 507 Nr. 4720 Bl. 21.

Vgl. Haumann, Akte (wie Anm. 2), S. 89-99.

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