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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2019/0157
Innenministerium Friedrich Karl Müller-Trefzer (1879-1960) vorgelegt. Die Anstaltsdirektion
bestätigt das Vorliegen eines körperlich-seelischen Schwächezustandes, der aus einer schweren
und verhältnismässig lang anhaltenden seelischen Bedrückung entstanden sei. Dies führe zu
einer milderen Beurteilung der an sich nicht zu rechtfertigenden schweren Amtspflichtverlet-
zung. Müller-Trefzer entschied am 7. April 1942: Unter diesen Umständen und angesichts der
sonstigen einwandfreien Dienstführung des Med.Rats Dr. Ehrismann erscheint als Dienststrafe
ein Verweis hinreichend. Das ist erstaunlich, denn dessen als Entschuldigungsgrund angegebenes
Verhalten ließ eine deutliche Missbilligung der „Euthanasie"-Maßnahmen erkennen und
hätte - mindestens - seine Entlassung zur Folge haben können. Ob die Nachsicht mit möglichen
eigenen Vorbehalten Müller-Trefzers zusammenhing, muss dahingestellt bleiben.32

Was lässt sich aus diesem Geschehen entnehmen? Gustav Ehrismann wurde in früheren
vertraulichen Beurteilungen im Zusammenhang mit Bewerbungen als zwar intelligent, fleißig,
gewissenhaft und sehr kenntnisreich eingeschätzt, aber auch als bescheiden, zurückhaltend und
schüchtern. Insofern sei er wohl für eine wissenschaftliche Stellung besser geeignet als für den
praktischen Anstaltsdienst. Das könnte bedeuten, dass er sensibel auf die Leiden der Patienten
reagierte. Als Anstaltsleiter Mathes dem Innenministerium am 27. Januar 1942 die erwähnten
Ursachen für Gustav Ehrismanns Verhalten mitteilte, fügte er hinzu, dieser sei persönlich stark
an jeden seiner Patienten gebunden. Er fühlt ihr Schicksal mit und sucht es dem Kranken und
seinen Angehörigen wo und wie immer möglich zu erleichtern?1' Ein begeisterter Nationalsozialist
scheint er nicht gewesen zu sein. Am 26. September 1933 unterschrieb er die von ihm
geforderte Erklärung, dass er der sozialdemokratischen und der kommunistischen Partei weder
angehöre noch Beziehungen zu ihnen oder Hilfs- und Ersatzorganisationen unterhalte.34 In die
NSDAP wurde er aber erst zum 1. Mai 1937 aufgenommen. Er erhielt die Mitgliedsnummer
4714422, seine Mitgliedskarte wurde am 15. Januar 1938 ausgestellt.35 Dabei spielte die weitgehende
Eintrittssperre zwischen 1933 und 1937 eine Rolle, aber Ehrismann war offenbar mehr-

Müller-Trefzer will die „Euthanasie" abgelehnt haben, habe jedoch ihre Durchführung nicht abwenden
können. Dies wäre näher zu untersuchen. Vgl. Friedrich Karl Müller-Trefzer: Erinnerungen aus
meinem Leben (1879-1949). Ein badischer Ministerialbeamter in Kaiserreich, Republik und Diktatur,
bearb. von Frank Engehausen und Katrin Hammerstein (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche
Landeskunde in Baden-Württemberg: Reihe A, Quellen 60), Stuttgart 2017, S. 152f. (die
badische Verwaltung habe nichts gegen die Austilgung der geistig Minderwertigen [!] tun können; zuvor
schon deutliche antijüdische Klischees), vgl. S. XXXII, Anm. 27 (1945 schrieb er, er habe sich mit der
Austilgung der Geisteskranken [...] nie einverstanden erklärt); Frank Engehausen: Friedrich Karl Müller
-Trefzer. Politischer Exponent des Nationalsozialismus in der badischen Ministerialbürokratie oder
Gegenspieler des Parteiapparates?, in: Täter, Helfer, Trittbrettfahrer, Bd. 7: NS-Belastete aus Nordbaden
+ Nordschwarzwald, hg. von Wolfgang Proske, Gerstetten 2017, S. 220-234, zur „Euthanasie" S. 232.
Nicht ausgeschlossen ist es, dass die Anstaltsleitung die Vorfälle benutzte, um Ehrismann loszuwerden,
und entsprechende Absprachen traf (Vermutung von Frank Janzowski, E-Mail vom 14.06.2019). Dafür
gibt es allerdings keine Hinweise in den Akten.

GLA, 463 Zugang 1983-60 Nr. 489 Bl. 244.
GLA, 463 Zugang 1983-60 Nr. 489 Bl. 79.

BArch, R 9361-VIII Kartei / 7721729. Die NSDAP-Karteikarte ist etwas widersprüchlich. Obwohl (mit

Schreibmaschine) als Aufnahmetag der 01.05.1937 angegeben ist, hat Ehrismann laut handschriftlichem
Eintrag die Aufnahme erst am 12.06.1937 beantragt. Auffällig ist auch der relativ lange Zeitraum bis zur
Ausstellung der Mitgliedskarte. Ehrismann selbst gab jedenfalls noch am 22.02.1938 in einer Erklärung
für die Personalakte an, er sei Anwärter der NSDAP. Außerdem gehörte er der NS-VolksWohlfahrt und
dem Reichsluftschutzbund an, beim NS-Arztebund war er ebenfalls Anwärter (GLA, 463 Zugang 1983-
60 Nr. 489 Bl. 159).

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