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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2019/0164
habe man die Schlafkur für Albert Scheffel beschlossen. Da die Arzte diesen Zusammenhang
bestritten, ging ihm die Staatsanwaltschaft ebenso wenig weiter nach wie einem Einfluss der
damaligen nationalsozialistischen „Zigeunerpolitik".56

Gustav Ehrismann befürwortete jedenfalls in seinem Schreiben vom 23. Mai 1942 die -
todbringende - Verlegung Scheffels in eine andere Anstalt. Dies lässt den Schluss zu, dass er
auch dessen Tod bei der Schlafkur in Kauf nahm. Außerdem beurteilte er ihn - entgegen dem
bisher geltenden Befund - äußerst negativ und brachte dies wiederum in Verbindung mit dessen
Eigenschaft als Halbzigeuner. Folgte er hier der Einschätzung seines Anstaltsdirektors? Und
wollte er sich nicht noch einmal gegen die Berliner Kommission stellen? Vermutlich war Nit-
sches Vorgehen als Aufforderung zu verstehen, Scheffel umzubringen, und Ehrismann musste
in seiner Antwort begründen, warum man ihn zunächst in Wiesloch behalten hatte, jetzt aber zu
einer anderen Auffassung gekommen war. Das erklärt seine widersprüchliche Argumentation.
Der Druck, unter dem er stand, ist nachvollziehbar.57 Aber warum beugte er sich ihm?

Nehmen wir beide „Fälle" zusammen - Friedrich Spindler und Albert Scheffel -, so bleibt
als Erklärung für Gustav Ehrismanns Verhalten, soweit sich das aufgrund der zugänglichen
Quellen sagen lässt:58 Obwohl er offenbar kein überzeugter Nationalsozialist war, könnte er
den Ansichten der „Rassenhygieniker" - vielleicht schon seit seinem Studium - zugestimmt
haben. Möglicherweise empfand er, mehr oder weniger unbewusst, eine Abneigung gegen „die
Anderen", gegen „fremde Elemente" - insbesondere Juden und „Zigeuner" -, wie sie tief in der
europäischen Kultur wurzelte, und vertrat deshalb nachdrücklich die nationalsozialistische „Zigeunerpolitik
".59 Als Alternative lässt sich denken, dass er nach den Ereignissen in Emmendingen
und infolge seiner Drogeneinnahme ein „gebrochener" Mann war, der das ausführte, von
dem er annahm, das man es von ihm erwarte, und sich anpasste. Eine Berufsausübung, wie sie
ethischen Grundsätzen entsprochen hätte, könnte er unter den gegebenen Bedingungen ohnehin
für sinnlos gehalten haben. Das müssen wir so stehen lassen.

Danach

Gustav Ehrismann

Gustav Ehrismann blieb an der Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch tätig (Abb. 5). Als sie 1944/45
für Neuaufnahmen gesperrt und wegen der sich nähernden Front teilweise geräumt wurde, verlangte
die NSDAP, dass eine Anzahl ihrer Parteigenossen auf jeden Fall dort bleiben sollten.
Ehrismann zählte zu ihnen. Am 21. Februar 1944 erhielt er eine „Unabkömmlichkeits"-Beschei-
nigung, sodass er nicht mehr eingezogen werden konnte. Nach Kriegsende wurde er vorübergehend
stellvertretender Anstaltsleiter.60 Dann musste er sich den schon erwähnten Ermittlungen

Janzowski (wie Anm. 40), S. 396f.

Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch Frank Janzowski in einer E-Mail vom 16.05.2019.

Weitere Gutachten Ehrismanns zu Sinti, Roma und Jenischen sind nicht ausgeschlossen. Sie aufzufinden,

würde jedoch eine sehr zeitaufwendige Suche erfordern, die ich nicht leisten konnte. Hinweise auf mögliche
Fundstellen übermittelte mir dankenswerterweise Fabian Beller (GLA), E-Mail vom 15.01.2019.

Diese Überlegung verdanke ich Otfrid Ehrismann (Schreiben vom 02.02.2019). Vgl. Haumann, Akte

(wie Anm. 2), S. 24-26 und 65-68. Gerade in den Klischees über „Zigeuner" tritt eine Anziehungskraft
des „Fremden" hervor, die eine umso stärkere Abwehr zur Folge hat.

Janzowski (wie Anm. 40), S. 316, 320, 350 und 354. Vgl. Peschke (wie Anm. 50), S. 671, 687-689, 698,

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