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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2019/0204
Ingeborg Wiemann-Stöhr: Die pädagogische Mobilmachung. Schule in Baden im Zeichen des Nationalsozialismus
, Verlag Julius Klinkhardt, Bad Heilbrunn 2018, 377 S.

Nachdem die NS-Forschung weit in die Regionalgeschichte vorgedrungen ist, unternimmt Ingeborg Wie-
mann-Stöhr den Vorstoß, speziell die Bildungsgeschichte während der NS-Zeit in einer Region, d.h. hier
im Gau Baden (später auch das Elsass) zu untersuchen. Das bedeutet zunächst einmal umfangreiche
Quellenarbeit in zahlreichen Archiven, wie u.a. Staatsarchiv, Generallandesarchiv und in neun Stadtarchiven
, der sich die Autorin mit bemerkenswertem Fleiß und Disziplin gewidmet hat. Ihre unter Einsatz
quantitativer Methoden gewonnenen Ergebnisse verschaffen ihr die Grundlage zahlreiche in der
Literatur vorherrschende Interpretationsmuster speziell für Baden zu überprüfen - und häufig genug zu
falsifizieren.

Während in der Forschung der reichsweiten Kultusbehörde bisher keine überzeugende Durchschlagskraft
attestiert wurde, stellt Wiemann-Stöhr für Baden eine konsequente und häufig verschärfte
Umsetzung einer Erziehung im nationalsozialistischen Sinne sowohl in der Lehrerschaft als auch bei
den Schülern fest. In Gestalt des vom Hauptlehrer zum Ministerialdirektor aufgestiegenen Karl Gärtner
fand sich in Baden eine Persönlichkeit, die durch planmäßiges Vorgehen und großen Einsatz ihr neues
schulpolitisches Konzept konsequent umsetzte. Der Sonderweg Badens und das anscheinend überaus
selbständige und vom Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung unabhängige,
ja vorpreschende Vorgehen Gärtners lässt weitaus höhere regionale Handlungsmöglichkeiten erkennen,
als es der eigentlich „zentralistische Führerstaat" vermuten lässt.

Weitaus früher als die Druckerzeugnisse des Reichserziehungsministeriums standen in Baden einer
durchgängig im Sinne des Nationalsozialismus geschulten Lehrerschaft neues und vor allem modern
gestaltetes Unterrichtsmaterial wie z. B. die sogenannten „Ergänzungshefte" für die Volksschulen und
die unteren Klassen der Höheren Schulen zur Verfügung. Gärtners „Heimatatlas der Südwestmark Baden
" von 1934 verdient an dieser Stelle als „wirkliche Neugestaltung eines Unterrichtsmediums" besondere
Erwähnung. Darüber hinaus wurde auch die tatsächliche Vermittlung der nationalsozialistischen
Ideologie durch ein engmaschiges Kontrollnetz u.a. in Form der 1934 eingeführten Berichtspflicht aller
Schulleitungen oder durch regelmäßige Kontrollbesuche im Unterricht durch die Vertrauensmänner des
Nationalsozialistischen Lehrerbundes überprüft.

Die detaillierte Auswertung der Quellen ermöglicht Wiemann-Stöhr ein differenzierteres Bild aufzuzeigen
. Lag der Organisationsgrad der badischen Lehrerschaft in der NSDAP mit bis zu 75 % weit über
dem reichsweiten Durchschnitt, so bestanden gleichzeitig erhebliche regionale Unterschiede. Während
in den beiden Rastätter Höheren Schulen im Jahr 1939 76,4 % der Lehrer Parteimitglieder waren, reichte
im katholischen Freiburg die Spanne von 100 % (Erich-Ludendorff-Oberrealschule) bis zu nur 43,5 %
im Jahr 1944 am Berthold-Gymnasium. Die scharfe Trennung des Kollegiums am Rotteck-Gymnasium
ist sicher symptomatisch für viele Schulen in Baden. Am widerstandsfähigsten gegen den nationalsozialistischen
Einfluss erwies sich im Übrigen das Donaueschinger Kollegium mit gerade einem Mitglied
in der NSDAP.

Im , System Gärtner' konnte dem Auftrag zur „Umerziehung" kaum ein Lehrer, kaum eine Lehrerin
entkommen. Dieser Druck aber auch die Umwerbung des Staates mit verlockenden Aufstiegsmöglichkeiten
bewirkte letztendlich, dass die Lehrerschaft in Baden als „Beamte des nationalsozialistischen
Staates" durch ihre Mitarbeit im System „eine stabilisierende Funktion eingebracht [hatte], auf die die
neuen Machthaber sich unbedingt verlassen konnten." Mona Djabbarpour

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