Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., TM 2001/4932
Schneider, Wilhelm
Überholte Lehrmeinungen zur frühmittelalterlichen Geschichte
Tübingen, 2001
Seite: 92
(PDF, 37 MB)
Bibliographische Information
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Varia

  (z. B.: IV, 145, xii)



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des Heiligen erst später nach unsicherer Überlieferung
beschrieben, wenige bekannte Züge nach beliebten Mustern
zu einer ausführlichen Geschichte ausgemalt oder
auch zu dem Namen eines Heiligen ohne alle Grundlage
seine Lebensgeschichte frei hinzuerfunden. Manche
Heiligenleben wollen älter erscheinen, als sie in Wirklichkeit
sind, indem als Verfasser etwa ein Zeitgenosse
oder Schüler des Heiligen ausgegeben wird, der zur
Zeit der Niederschrift längst nicht mehr unter den Lebenden
weilte oder aber überhaupt nicht gelebt hatte.
Natürlich wurden so die Vorstellungen oft auf die
schon weit entlegene Vergangenheit übertragen. Neben
erbaulichen Zwecken lassen sich hier und da auch weltliche
Wünsche erkennen, die auf die Gestaltung der Legenden
eingewirkt haben, so die Absicht , die Unabhängigkeit
eines Klosters vom Diözesanbischof oder den
Anspruch auf die Stellung eines königlichen Klosters als
bereits in der Geschichte des ersten Abtes begründet
zu erweisen.

( Eigene Bemerkung: Das Letztere ist insbesondere bei
den Heiligenlegenden von St. Gallen der Fall ) . Weiter:

Nicht nur Urkundenfälschung , auch auf dem Gebiet der
Hagiographie ist im Mittelalter mehr als eine pia fraus
begangen worden. Auch bei den zeitgenössischen Viten
ist der erbauliche Zweck nicht zu vergessen . Wenn alte
Heiligenleben wie die der Bischöfe Remigius von Reims
und Nicetius von Lyon fast nur Wundergeschichten
aneinanderreihen, so entspricht das den religiösen Anschauungen
jener Zeit, die das Kennzeichen der Heiligkeit
vor Allem in den Äußerungen der Wunderkraft
erblickte und solche virtutes eines Heiligen als wichtiger
ansah als seine öffentliche Wirksamkeit. Die geringe
Kunst der Darstellung veranlasst häufig zu Anleihen bei
anderen Quellen , um die Mängel der eigenen Erzählung
zu verdecken . Bald werden nur schöne Redewendungen
übernommen, bald ganze Tatsachenreihen in einem
Umfang entlehnt, dass die Glaubwürdigkeit der Quelle
mehr oder weniger beeinträchtigt erscheint. So ist
nach verschiedenen Richtungen hin strenge Sichtung bei
den merowingischen Heiligenleben notwendig. Ihre
unkritische Benutzung trägt einen großen Teil der
Schuld an den falschen Ansichten, welche lange über
die Zeit der Merowinger herrschend waren. Aber nach
Ausscheiden des Wertlosen verbleiben hier bei allen
Mängeln doch hervorragende Quellen für die Kenntnis
der Sittengeschichte.


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