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H. Spemann und Hilde Mangold: Uber Induktion
ferente Gewebe in gleichem Sinne bestimmt. Daraus ergibt sich das
neue Experiment, indifferentes Gewebe, etwa präsumptive Epidermis
der beginnenden Gastrula, einem älteren Keim mit vollendeter Gastru-
lation einzupflanzen, so daß es an seinen Ort kommt, ohne ein Teil
der Urmundlippe gewesen zu sein. Dasselbe wäre übrigens schon in
jenen Fällen gegeben, wo präsumptive Epidermis in den Dotterpfropf
gepflanzt wurde, daher zunächst in den Boden des Urdarmes gelangte
und offenbar erst sekundär in den Bereich der Urwirbel geriet, wo sie
dann selbst zu Urwirbel determiniert wurde {0. Mangold 1923, S. 258).
Wenn Wünsche in Fragen der Forschung erlaubt wären, so könnten
sie in diesem Falle nur dahin gehen, daß sich die zweite der oben erörterten
Annahmen als richtig erweisen möge; denn sollte die Induktion
sich auf die Anregung zur Gastrulation beschränken, so stünde
das Problem des harmonisch-äquipotentiellen Systems, welches sich
eben der experimentellen Analyse zu öffnen schien, gleich zu Anfang
wieder in seiner ganzen Unzulänglichkeit vor uns.
Über die Mittel der determinierenden Einwirkung fehlen bis jetzt
alle tatsächlichen Anhaltspunkte. Die oben vorgeschlagenen Versuche
(Implantation von zerquetschtem, also strukturlos gemachtem Organisator
zwischen die Keimblätter) könnten hier weiter führen.
Man sollte annehmen, daß die Tierarten, deren Keime aufeinander
einwirken können, in ihrer systematischen Verwandtschaft nicht gar
zu weit voneinander entfernt sein dürfen. So gehören denn auch Triton
cristatus, taeniatus und alpestris, zwischen denen die gegenseitige Induktion
möglich ist, wenigstens derselben Gattung an. Doch scheinen
hier Überraschungen von großer Tragweite bevorzustehen, indem es
gerade in diesen Tagen (Mai 1923) Herrn Dr. Geinitz im hiesigen Institut
gelungen ist, durch Organisatoren von Bombinator und von Rana
Embryonalanlagen in Triton zu induzieren, also Anuren und Urodelen
in determinierende Wechselwirkung zu bringen. Dadurch werden
experimentelle Ideen, die mehr Träume als Pläne zu sein schienen
(Spemann 1921, S. 567), in den Bereich der Ausführbarkeit gerückt.
•5. Organisator und Organisationszentrum.
Der Begriff des Organisationszentrums gründet sich auf die Vorstellung
einer im Keim von Zelle zu Zelle weiter wirkenden Determination
. Die Annahme einer solchen Hegt überall da nahe, wo die Differenzierung
, die sichtbare Folge der Determination, nicht in allen Teilen
gleichzeitig einsetzt, sondern an einer Stelle beginnend in bestimmter
Richtung fortschreitet. Doch ist sie keineswegs durch reine Beobachtung
zu begründen; es kann auch eine bloße zeitliche Aufeinanderfolge ohne
ursächliche Verknüpfung vorliegen. Ein Mittel, um das zu prüfen, besteht
in der Unterbrechung des räumlichen Zusammenhanges. Bringt diese
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