http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/sphinx_zo_dog/0041
37 —
„Du hast das Tor durchschritten und bist im Reiche des Todes", trifft eine andere
Stimme tief und voll mein Ohr.
Wie war der Weg so schön, der Eintritt sanft und leicht, und was man dort am
anderen Ufer fürchtet, nichts als ein Märchen für ein Narrenreich. Noch bin ich jung in
diesen Hallen, und noch mein Auge ungewohnt, das dämmernde Licht zu durchdringen,
doch fühl ich den Helfer neben mir, und seine leitende Hand weist mir unsichtbar den
Pfad. Kein Hunger, keine Müdigkeit trotz der weiten Fahrt drückt meinen Leib, ich fühle
mich selbst fast Luft, und schneller eilt mein Fuss, die weiten Gänge durchmessend.
Der unbeschwerte Geist hat sich angepasst: hat er des Lebens Sinn erst aufgefasst,
so lernt er jetzt des Todes Wesen kennen.
Ein wilder Lärm schallt durch den weiten Raum, erstickend quillt ein Dunst durch
das Revier. Im Saal der ausgelassenen Freude, bei wildem Tanz und reichem Schwelgermahl
sehnt sich die Seele nach Befriedigung. Jedoch der Körper fehlt und jeder Kelch ist
bitter. Die wüste Gier, sie möchte fast die aufgereizten Brüste zersprengen; doch keine
Mögliehkeit, Erquickung zu erlangen. Der Kunstgesang wird schrilles Missgetön, und jeder
Jubellaut ein Angstgestön. —
Im nächsten Saale drängt der Mauschier Meute ums goldne Kalb. Der frech erlogene
Gewinn wird Ungeziefer, das seinen glücklichen Besitzer plagt und an den gift gen Eiterbeulen
nagt. Das schwere Lot am Fusse hemmt seinen Schritt, er zieht verdrossen; doch
eh' am Handelsplatz er angekommen, ist das Geschäft soeben abgeschlossen. —
Die Säufer finden sich im dumpfen Keller, in den der Reine nur durchs Gitter sieht.
Die Mäuseheerde rennt mit Ratten Wette, indes die Schlange ihre Kreise zieht und jeden
Trank in brennend Gift verwandelt. Die aufgedunsenen Gesichter glühn, die Füsse aber
sind wie Eis, nnd Herz und Hände brennend heiss. —
Des Geiz'gen voller Geldsack hat ein Loch, wie wir im nächsten Saale sehen. Will
er ein schnellentrolltes Gold nun fassen, muss er zwei andere Stücke fallen lassen, und
stets sitzt ihm ein Räuber im Genick. Das ist des Geizes wohlverdient Geschick. —
Dann sah ich weiter lügenhafte Pfaffen als Blinde über schmale Steige gehn ins
himmlische Jerusalem. Bei jedem Seufzer sprang ein ekel Krötenvieh aus ihrem Munde.
Ein Schritt vom Ziele lagen sie im Grunde, und neu die Wanderung begann. —
Dem Mörder folgt der Scherge auf dem Fusse. Schnell eilt er furchtgepeitscht zum
nächsten Winkel, aus dessen düst'rer Nacht ihm der Erschlagene droht. Das angstverzerrte
Angesicht des Opfers starrt ihn an, und übler Blutgeruch zeigt seine Spur dem Henker,
der das scharfe Beil schon hebt. —
Der harte Mann, der lachend, roh und polternd, die arme Witwe mit dem kranken
Kind hinausgetrieben in die kalte Nacht, der bettelt jetzt. Und wenn die arme Frau, die
nun getröstet ist, mitleidig ihm ein schönes Stück Brot gereicht, so wirds zu Stein, wenn
ers zum Munde führt. —
Ein Hof, ein Garten fast zu nennen, barg wohlgesittet alle Ehrenleute, von denen
nie was Böses ward bekannt. In Kleidern nach dem neusten Schnitt und schön geschmückt,
mit süssem Lächeln grüssten sie einander und konversierten interessant, doch Hunger riss
die Eingeweide wie Tigerzahn, und wie verborgenes Brandmal schmerzte versäumte
Liebestat. —
Auch sah ich viele, die umsonst gelitten, und mühsam und verzagt durchs Leben
schritten. Jetzt war die Last gelöst und tief ins Meer versenkt, und einem jeden Trost
und Lieb' geschenkt. —
Und wie sich Halle nun an Halle reiht und weite Bogen ihre Säulen bindet, und wie
ich da gesehn', wie jeder wiederfindet, was er am Tagesufer ausgelebt, da bat ich: „Herr,
führ mich hinaus, ins Haus der sePgen Menschen!"
Durch lange Gänge musst ich nun noch gehen, zwar focht mich keine Sorge an,
auch keine Müdigkeit glaubt ich zu spüren, doch muss das Elend und des Jammers Menge,
die immer wieder ich von neuem sah, in allen Arten und in allen Tönen und allen Farben,
tief zu Herzen gehn. Sehnlichst erwuchs der Wunsch in meiner Brust, ein volles Glück
zu sehn.
Da, — ganz von ferne winkt ein kleines Pförtchen, und lieblicher Gesang von zartei»
fehlen Stimmchen, hell wie Engelssang, tönt mir entgegen. Ein blum'ger Wiesenplatz, umringt
von duft'gen Gärten und von süssen Früchten, zeigt dem Auge sich. Ein Silberbach
schlingt wie ein Strahlenbund durch diese Flur, und jubelnd badet eine Schaar von Kindern
mit zahmen Schwänen und mit goldnen Fischchen sich in dem klaren Teich.
Beglückt wollt ich vom Pfad, dem engen, mich durch die schmale Pforte drängen,
da tritt ein Mann vom nahen Laubengang mir in den Weg. Aus seinem Antlitz strahlt die
Herzensgüte, es ruht sein milder Blick auf mir und seine Lippen öffneten sich zu einem
Spruch, der mir bekannt und doch so hoch mir klang, als dieser Mund ihn sprach: „Wenn
ihr nicht werdet wie die Kinder, so kommt ihr nimmer in das schöne Land!"---
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/sphinx_zo_dog/0041