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fremde neue, die auf der Seefläche zu ihm hinkamen und ihm hilfreich die Hand
boten, daß er sich aufrichte. In ihrem Antlitz aber spiegelten sich jetzt deutlich
Traurigkeit und Bekümmernis. Als er aufgerichtet war, fühlte er, daß auch er auf
dem Gewässer zu gehen vermochte. Sie führten ihn an Land in einen kleinen Hain
wo auf einem Marmorsessel ein priestergleicher Greis ihn zu erwarten schien. Ernst
versammelten die Gefährten Fügenhauers sich um den königlichen Greis; Fügenhauer
blieb verwirrt vor ihm stehen. Der Alte sprach milde: „Leider, leider bist Du auch
für uns noch nicht reif.. Das bezeugt, was Du eben getan, vielmehr zu tun versuchtest.
Wir richten nicht, was Du getan; wir müssen leider richten, was Du tun wolltest.
Was Du mit Recht für ein Gewässer hieltest, das ist es auch für uns; nur die
chemische Formel, die Du ja kennst, ist nicht dieselbe wie auf Erden, sondern die
für die ddrtige atmosphärische Luft. Wie auf Erden das Wasser vermöge seiner
Schwere immer dem tiefsten Punkte zustrebt, erfüllt bei uns die atmosphärische Luft
dasselbe; Dein Körper aber, die Materialisation Dßiner Seele in den Formen Deines
einstigen irdischen Leibes, ist jetzt zu leicht, als daß er in dem Luftstoff unserer
Gewässer untergehen könnte. Du siehst, Du hast viel umzulernen, umdenken
zu lernen."
Nach einer kurzen Pause fubr der Sprecher fort und in seinem Tone vibrierten
Mitgefühl, Schmerzlichkeit und eindringlicher Ernst: „Du wolltest Dich töten! Obwohl
Du wissen konntest und wissen mußtest, wie eitel ein solches Beginnen ist! Daß
Du es aber wollen konntest, daraus ersiehst Du selbst, daß Du unserer Stufe im
Lebensaufstieg noch nicht würdig sein kannst. Falsch verstandene Mutterliebe oder
durch Mutterliebe getrübtes Urteil hat Dich zu hoch geführt. Da fühlst Dich nicht
wohl bei uns, sonst überfiele Dich nicht Bangigkeit; wenn Du für uns reif wärest,
würdest Du Dich hier auch ungetrübt wohl fühlen. Du mußt deshalb, leider, leider,
für einige Zeit zurück! Wir verurteilen Dich nicht, wir klagen um Dich; nur Dein
sündiges Begehren verurteilt Dich zu noch weiterem irdischen Leben! Träfe Einen
von uns der Zwang, in's irdische Leben zurückkehren zu sollen, er würde sich mit
Grauen davor entsetzen, als vor einer Hinrichtung; Du aber willst es selbst, und was
Deiner Seele Zustand erfordert, das muß ihr werden!"
Der Redner schwieg und erhob sich; eine drückende Stille verbreitete sich.
Viele verhüllten ihr Angesicht. Eine weibliche Gestalt, voll Jugend und Schönheit
und Adel eilte weinend auf Fügenhauer zu, nahm sein Antlitz in ihre beiden Hände
und sprach ihm. voll Liebe und Güte Trost zu und Mut. Fügenhauer aber wehrte
sie bescheiden und sanft ab; er hatte sich wiedergefunden. „Ich bedarf nicht des
trostes" sagte er ruhig und fest. ,Jch werde ja nicht hingerichtet, um in eine
unbekannte, dunkle Zukunft, in ein fremdes, unenträtselbares Etwas zu gelangen,
sondern um, mir zum frommen, Millionen zum Tro3te und zum Nutzen, zurückzukehren
und drunten ganz anders zu leben!"
Da lächelte sie durch Tränen voll Mitleid, voll Liebe und voll leiser Ironie:
„Mögest Du Dich nicht täuschen I"
„Es ist ja nur für eine kurze Spanne Zeit!" sagte eine reife, schöne Frau, sah
aber dabei sehr bekümmert aus.
Ein Mann, Antlitz und Stirn noch jugendlich, Haar, Schnurrbart und Knebelbart
aber grausilbern, trat auf ihn zu und legte ihm die Linke auf die Schulter, während
er ihm die Rechte bot: „Und doch beglückwünschen wir dich zu deinem neuen Leben
dort unten, denn du bist weit genug, um es leben zu dürfen als Mensch, nicht etwa
als eines der Tiere in Wasser, Luft oder Erde! Deine aufrechte Seele wird nicht
etwa in ein Lastpferd gebannt sein, in einen Hofhund, ein Milchvieh, oder in einen
Kolkraben, ein Kerbtier; als aufrethter, denkender, selbst bestimmender Mensch wirst
du Kindheit, Jugend und Alter verbringen!"
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